SPEZIAL

Dick ist nicht gleich dick

Teufelskreis Lipödem

MEIN Erfahrungsbericht (1)

Man begegnet ihnen täglich - Menschen mit Vorurteilen. Vorab wertend mit negativen Einstellungen gegenüber Personen oder Zuständen. Erst vor kurzem hätte ich wieder aus der Haut fahren können, als sich jemand über eine kräftige Dame mit den Worten „Na und die erzählt einem dann auch noch sie habe eine Schilddrüsenunterfunktion“ ausließ. Anstatt verbal zu platzen, habe ich den Ärger über so viel Dummheit einfach heruntergeschluckt. Doch irgendwann ist es mit Verdrängung einfach nicht mehr getan. Es ist an der Zeit, dass die Menschen sensibilisiert werden und aus diesem Grund erzähle ich hier meine Geschichte.

 

Es begann im Sommer letzten Jahres, als mich meine Physiotherapeutin auf eine Krankheit aufmerksam machte, die sie mir augenscheinlich zuordnete.  Lipödem ist eine genbedingte, unheilbare, ausschließlich bei Frauen auftretende Erbkrankheit, die immer fortschreitend und schmerzhaft ist. Sie ist gekennzeichnet durch eine symmetrische Fettverteilungsstörung, die überwiegend im Bein-, Gesäß- und Hüftbereich, aber auch an den Armen auftritt. Deutlich erkennbar durch auffällig unpassende Proportionen wie einem schlanken Oberkörper und sehr breiten Hüften und Beine. Häufig bricht sie während hormonellen Veränderungen wie z.B. der Pubertät, Schwangerschaft oder den Wechseljahren aus. Sportliche Betätigungen oder Diäten haben keinerlei Einfluss auf den negativen Verlauf des Lipödem.

 

Nachfolgend die drei Stadien zur Ansicht (Quelle: Lipödem Hilfe Deutschland e.V.):

 

WIESO?
WESHALB?
WARUM?

Warum ich meine Geschichte hier erzähle hat einen ganz bestimmten Grund: ich möchte weder Mitleid, noch möchte ich mich rechtfertigen. Stattdessen möchte ich Sensibilisieren für eine Krankheit, die leider noch so unbekannt ist, dass nicht einmal die Krankenkassen deren schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen anerkennen. Die Krankheit Lipödem muss das Image der Banalität verlieren. Daher möchte ich die Menschen an meinem Schicksal teilhaben lassen. Es ist mir eine Herzensangelegenheit anhand meines Erfahrungsschatzes über die Krankheit aufzuklären und vielleicht erkennt sich auch die ein oder andere Leserin in meinen Erzählungen wieder.

In ihren Erzählungen über Betroffene erkannte ich mich sofort wieder. Als Teenager hatte ich noch super schlanke Beine und Arme. Mit den Jahren trat ganz offensichtlich eine Veränderung ein. Der jahrelange physische und psychische Kampf um jeden Gramm weniger auf der heimischen Waage, die ausbleibenden Erfolgserlebnisse trotz regelmäßigem Sport und gesunder Ernährung, die permanenten blauen Flecken, die bei kleinster Berührung entstanden und diese unangenehmen Schmerzen, die mich meist nachts überkamen wenn die Beine zur Ruhe kamen.

 

Selbstzweifel

 

Meine leidenschaftlichen Shoppingtouren wurden schon bald zur Tortur. Keine Hose wollte so recht passen. Der Frust war dementsprechend groß. Glücklicherweise wurde ich von außen so gut wie nie bezüglich meiner Figur kritisiert. Ich stand mir selbst am meisten im Weg, kritisierte und makelte an mir herum. Dennoch kamen hin und wieder aus meinem näheren Umfeld Seitenhiebe wie „Na, hast aber auch etwas zugelegt.“ Auf solche Aussagen hin folgte meist eine strikte Ernährungsumstellungen oder gar Null-Diäten. Doch erreicht habe ich dadurch nie etwas. Jeder Blick in den Spiegel war geprägt von Selbstzweifeln und Vorwürfen. Was mache ich falsch? Warum kann ich nichts ändern? An Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein hat es mir nie gemangelt. Diese Phase meines Lebens jedoch hat mich sehr verändert. Ich wurde verschlossener und zog mich mehr und mehr zurück, wollte kaum noch etwas unternehmen und wenn ich mich doch durchgerungen hatte, scheiterte der Versuch vor dem Kleiderschrank.

 

Die Diagnose

 

Mir wurde geraten, einen Phlebologen oder Lymphologen zu kontaktieren und abklären zu lassen, ob wir mit dem Verdacht richtig liegen. Etwa drei Monate später hatte ich Gewissheit. Auch ich bin, wie ca. 2 Millionen Frauen in Deutschland, von der Krankheit Lipödem Stadium 1 betroffen. Ich verließ damals tränenüberströmt die Praxis. Das einzige, was der Facharzt mir mit auf den Weg gab, waren zwei Aussagen: man könne nichts dagegen tun, auch Lymphdrainagen wären nicht sinnvoll und ich solle mich doch am besten gleich mit meinem Schicksal abfinden. Verzweiflung machte sich breit aber auch ein Stück weit Erleichterung, denn immerhin hatte ich nun Gewissheit darüber, dass es nicht an mir lag.

 

Durch meine Mutter, die sich zwischenzeitlich über die Krankheit informiert hatte, erfuhr ich von der bislang einzig wirkungsvollen operativen Therapie: der Liposuktion. Da die Krankenkassen diese Variante jedoch bisher nicht in Ihren Leistungskatalog aufgenommen haben, müssen die Kosten von der zu behandelnden Person selbst getragen werden. Die Kosten hierfür liegen, je nach Klinik und Aufwand, zwischen 3.500 – 6.000 Euro pro Operation. Ein Schritt, der nicht nur den Geldbeutel belastet. Eine Operation, das muss gut durchdacht werden. Mich machte diese neue Option nachdenklich. Ob ich den Schritt jedoch wagen würde, musste ich mit Ruhe und Besinnung entscheiden.

 

Wichtig waren bei meinem Weg und auch bei dieser Entscheidung vor allem die Menschen, die in dieser schwierigen Zeit für mich da waren, mich sowohl finanziell, als auch physisch und psychisch unterstützt und gut zugeredet haben. Ich hätte das alles ohne euch nicht überstanden! (ch) +++

 

Nachtrag: Selbstverständlich ist nicht jede Frau, die augenscheinlich ein gewichtiges Problem mit ihrem Körper hat, von der Krankheit betroffen. Es gibt eine Vielzahl von Krankheiten, die die Körperform beeinträchtigen können aber natürlich spielen auch Ernährung und Bewegung eine elementare Rolle. Sobald jedoch Schmerzen im Spiel sind, sollte der Sache auf den Grund gegangen werden. Und genau aus diesem Grund, weil man es einer Person nämlich nicht ansehen kann, ob sie krank ist oder schlichtweg eine ungesunde Lebensweise hat, sollte man mit voreiligen Schlüssen sehr vorsichtig umgehen. Jede Frau ist auf ihre spezielle Art und Weise schön. Egal welche Kleidergröße sie trägt!