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- Fotos: Walter M. Rammler

28.01.11 - BIMBACH

Ein „heißes Eisen“ hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL e. V.) angepackt und geht damit deutschlandweit auf Informationsverbreitung: Agro-Gentechnik in den USA – ist sie ein Fluch oder ein Segen? Keinen Zweifel ließen die Redner bei der abendlichen Veranstaltung in Bimbach an der drohenden Gefahr nicht nur für Landwirte. Und sie fanden ein gebannt lauschendes Publikum, der Saal war überfüllt, Junge, Alte, Frauen und Männer hörten gespannt zu, als ein US-Farmer und ein Mitarbeiter des US-amerikanischen Zentrums für Nahrungsmittelsicherheit über die Erfahrungen mit genmanipulierten Pflanzen in ihrem Land berichteten. „Wie kann man den Wahnsinn stoppen, was können wir tun?“ war die Frage, mit der die Besucher den Saal verließen.

Die Redaktion von osthessen-news hat sich mit dem Farmer und dem Wissenschaftler aus den USA über die Situation in ihrem Land unterhalten. Sehen Sie dazu ein Video-Interview (einfach den orangefarbenen Button oberhalb des Artikels klicken) mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter beim Zentrum für Nahrungsmittelsicherheit (Center for Food Safety, CFS) in Washington DC. Anfang Februar veröffentlicht osthessen-tv in einem weitereren Beitrag ein Video-Interview mit dem Farmer Troy Roush.

Oswald Henkel, ein Landwirt aus der Rhön und örtlicher Vertreter der AbL, begrüßte die vielen Interessierten und stellte die Referenten vor. Dr. Hubert Beier vom Verein Natur- und Lebensraum Rhön und vom Kreisbauernverband Fulda-Hünfeld informierte über die Situation im Landkreis Fulda: Schon in 2002-2003 habe es Diskussionen um die Gentechnik gegeben. In 2004 wurden Landwirte aus dem Biosphärenreservat Rhön aufgefordert, sich schriftlich für drei Jahre zu verpflichten, keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. Dazu hätten sich in Teilen der drei Landkreise fast 50 % bereit erklärt. In 2007 wurde die Aktion wiederholt. Von 1500 angeschriebenen Landwirten unterschrieben 526, was 38 % der Fläche und 32 % aller Landwirte entsprach. In 2010 wurde das Thema aktualisiert, eine Umfrage endet am 31. Januar. Im Zwischenergebnis ist man gerade bei 54,2 % in der Fläche und 48,9 % aller Betriebe, die Gentechnik ablehnen.

Über den Vogelsbergkreis berichtete Oswald Henkel, 13 000 Hektar Ackerland gelten hier als gentechnikfrei. Er appellierte an die Zuhörer, auf das grüne Logo für gentechnikfreie Lebensmittel zu achten. In Zeiten der Gleichmacherei kaufe ein Händler, wo er die Ware am billigsten erwerben könne. Im System der grauen Massenware gebe es immer Leute, die noch billigere Produkte anböten.

„Verbraucher wollen keine Gentechnik“

Annemarie Volling arbeitet in der Koordination der Gentechnikfreien Regionen in Deutschland für die AbL. Sie begleitet die zwei US-Amerikaner zehn Tage quer durch Deutschland. Sie erläuterte, dass die AbL sich für eine gentechnikfreie Landwirtschaft einsetzt. Dabei machte sie deutlich, dass es in der Landwirtschaft keinen Schutz vor Verunreinigungen beim Anbau gebe. Die AbL plädiere dafür, dass die Verursacher für die Kosten der Schäden aufkommen, und setze sich für eine weltweit ökologische Landwirtschaft und faire Preise ein. Mit Informationen aus erster Hand sollten sich die Zuhörer selbst ein Bild machen in Zeiten, in denen wichtige Entscheidungen anstehen über Neuzulassungsprozesse auf europäischer Ebene und die Diskussion um Saatgutschwellenwerte.

Annemarie Volling richtete den Blick auf den Markt: „60 bis 80 % der Verbraucher wollen keine Gentechnik“, teilte sie mit. „Über 90 % der Welt-Ackerflächen sind noch gentechnikfrei, da haben wir eine Menge zu verteidigen!“ Heute gebe es 203 gentechnikfreie Regionen in Deutschland, über die Hälfte der Betriebe in diesen Regionen bestätigten: „Wir füttern auch gentechnikfrei“. Auch Kommunen, Landeskirchen und Firmen sprächen sich gegen Gentechnik aus, was die Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln erhöhe.

Monsanto und das Unkraut

Der US-Farmer Troy Roush baut in Indiana Mais, Soja und Weizen an. Er erzählte, wie seine Familie vor zehn Jahren vom Chemiekonzert Monsanto beschuldigt wurde, Saatgut unerlaubt aufzubewahren. Die Anwaltskosten bei Prozessführung hätten zu 1,5 Millionen Dollar führen können, deshalb habe man sich außergerichtlich geeinigt. Mit den mittlerweile weltbekannten Dokumentationen über die Vorgehensweise des Monsanto-Konzern (z. B.: Die Welt, wie sie Monsanto sieht) begannen die Menschen auch in den USA, darüber nachzudenken, wie ihre Lebensmittel produziert würden.

Die Landwirte in Nordamerika kennen, so Roush, vor allem ein großes Thema: Unkräuter, die gegen Herbizide resistent sind. Das Problem wurde vor acht Jahren erkannt, nach Einsatz von so genannten „Roundup-Saatgut“, das, gentechnisch verändert, mehr Erträge und weniger Pestizide versprach. „In den Jahren haben die Farmer vergessen, wie man Unkraut konventionell bekämpft und gentechnikfreies Saatgut ist nur noch schwer erhältlich“, nannte Roush zwei Ursachen für die negativen Entwicklungen in der US-Landwirtschaft.

Als Lösung gegen die Unkräuter biete Monsanto einen krebserregenden Wirkstoff an: Dicamba. Roush erzählte von der verheerenden Wirkung des Mittels und fragte, wie gefährlich ein Konzern einzuschätzen sei, der so einen Wirkstoff mit so giftigen Eigenschaften entwickle. „Haben diese Menschen dort andere Gedanken als den des schnellen Profits?"

Teures Saatgut

Bill Freese, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum für Nahrungsmittelsicherheit in Washington D.C., erläuterte die Forschung seines Instituts an genmanipulierten Pflanzen, die wirklich angebaut wurden und werden, anders als die Erfindung der Werbewelt für die Gen-Industrie, den „Goldenen Reis“, den es nie gab und wohl auch nie geben werde. Freese informierte, dass man nur in wenigen Ländern genmanipulierte Pflanzen finde: hauptsächlich in Nord-Amerika. Aber auch in seinem Land lehnen viele Weitervermarkter und Bauernverbände die genmanipulierten Pflanzen ab.

Für die Genmanipulation bei Pflanzen sollten eigentlich zwei Eigenschaften sprechen: sie sollen resistent gegen Unkraut und Insekten sein. Anhand von verschiedenen Beispielen zeigte Freese auf, dass die manipulierten Pflanzen geringere Erträge und Probleme durch Verunreinigungen brächten. Zudem sei das genmanipulierte Saatgut teurer als konventionelles, das es aber kaum noch zu kaufen gebe.

Der Monsanto-Konzern beschäftige eine ganze Abteilung, die US-Farmer mit übelsten Methoden bespitzele und verklage, wenn sie eigenes Saatgut verwendeten. Und durch die Terminator-Technologie bringe man die Landwirte dazu, kein eigenes Saaltgut nachzubauen, weil die gentechnisch veränderten Pflanzen steril würden. Der Saaten-Nachbau sei aber ein traditionelles Recht des Bauern, so Freese. Nur im geringen Maß gebe es Saatenzuchten von öffentlichen Stellen und Universitäten.

Oswald Henkel fügte hinzu, dass bereits vier Millionen Hektar Ackerflöäche mit resistenten Unkräutern verseucht seien, die Fläche werde in den nächsten Jahren auf 12 Millionen Hektar anwachsen, das sei die Nutzfläche etwa von ganz Deutschland.

Viele Fragen

Zahlreiche Besucher nutzten die Möglichkeit, Fragen an die Veranstalter und an die US-Gäste zu stellen. Trotz des heiklen Themas und des vollen Saales blieben die Zuhörer konzentriert und sachlich. Der Hut, in dem für die Finanzierung der Veranstaltung gesammelt wurde und der durch die Tischreihen wanderte, füllte sich zusehends.

Ein vieldiskutiertes Thema war das Patent auf Saatgut, was von vielen Rednern als Einschränkung des traditionellen Rechtes des Landwirtes gesehen wurde. Angesprochen wurde in diesem Zusammenhang die Nachbau-Abgabe, die in Deutschland abzugeben ist. Hier plädierte Annemarie Volling als Modell für die Einrichtung eines öffentlichen Saatgut-Fonds, in der die Gesellschafter mitreden können, wohin die Saatgut-Züchtungen gehen sollen. Oswald Henkel forderte in diesem Zusammenhang die Zuhörer auf, bei den bevorstehenden Wahlen die Politiker daran zu erinnern, den Anbau genmanipulierter Pflanzen in Deutschland zu verhindern.

Für die direkte, regionale Vermarktung von Produkten sprach sich eine Besucherin aus, um aus „dem Massenkram“ herauszukommen. Sie dankte den Bauern für ihre Produktion und sah im Monsanto-Konzern mit seiner enormen finanziellen Potenz eine große Gefahr.

„Wo sind in Amerika die kritischen Bürger?“ fragte ein Gast. Dazu antwortete Bill Freese, die amerikanische Regierung habe sich vor 20 Jahren entschieden, dass Biotechnologie die Zukunftstechnologie des 21. Jahrhunderts sei. Die Politiker glaubten damals, das Richtige zu tun. Eine kritische Stimme sei seine Organisation. Man habe in 2008 einen Prozess gewonnen und die Zulassung von genmanipulierten Zuckerrüben und Luzerne gestoppt. Diese Arbeit werde fortgesetzt.

Zu dem Thema teilte ein Zuhörer mit, in Nordheim würden genmanipulierte Zuckerrüben angebaut. „Wenn sich die über Wildpflanzen auskreuzen, dann „gute Nacht"".

Kritisch hinterfragt wurden die Einstellungen des Deutschen Bauernverbandes und der Politiker zur Gentechnik, von denen sich die konventionellen und Ökobauern nicht unterstützt fühlen. Ein Teilnehmer fasste zusammen: er nehme Angst mit für die nächste Zeit, aber auch Hoffnung. Denn: eine Firma wie Monsanto könne in 25 Jahren nicht die Evolution durcheinander wirbeln. Er baue auf die Resistenz der Natur. Dr. Peter Hamel sagte abschließend „Wir wissen am Jahresende nicht, wie sich die Preise entwickeln. Aber wir haben gute Ansätze. Machen Sie alle mit – verlangen Sie gentechnik-freie Lebensmittel und gentechnikfreie Saaten." (Renate Reus) +++














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