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29.03.10 - FULDA

Vorwüfe gegen Bistum - "Missbrauchsopfer vor Trümmern des Heilungsweges"

Der Kapuziner-Pater Bruder Paulus Terwitte hat im Fall des Pfarrers i.R. Klaus D. (ON berichtete http://osthessennews.de/beitrag_E.php?id=1179362 ) Vorwürfe gegen das Bistum Fulda erhoben. Vor vier Jahren habe Tina (19) - Name geändert - aus Thüringen beim Bischof in Fulda ihre Geschichte erzählt. "Doch erst letzte Woche Donnerstag erfuhr Tina mit ihren Eltern per Pressemitteilung des Bistums Fulda, dass der Priester, der sie als 10-jährige bedrängte, einschlägig vorbestraft war und in einer ahnungslosen Gemeinde Dienst tun durfte – und sogar im Gefängnis, in dem Jugendliche untergebracht waren: bis ihn dort ein Jugendlicher anzeigte", schreibt der aus dem Fernsehen bekannte Pater in einem Pressetext. Die Familie des Mädchens habe ihn beauftragt, sie in der Öffentlichkeit zu vertreten, teilte Bruder Paulus mit. Lesen Sie nachfolgend den Text von Bruder Paulus Terwitte im Wortlaut:

"Fulda/Weimar. Durch die Pressemeldung des Bistums Fulda vom vergangenen Donnerstag zu den Vorgängen um Pfarrer D. wurden Gerold und Sabine Wälder (Namen geändert) als Eltern von Tina in ihren dunklen Vorahnungen bestätigt: Der Priester hatte es schon vorher getan. Und öfter. Bis dahin versuchten sie sich immer wieder zu sagen, es sei ein Ausrutscher gewesen. Deswegen hatten sie mit Blick auf ihre Tochter und der Aussicht, ein Prozess würde doch nur zur Niederschlagung der Anzeige führen mangels Beweisen, von einer Strafanzeige abgesehen. Und winkten ab, als beim Bischof von Fulda 2006 von „Öffentlichkeit“ die Rede war. Sie stellen sich unter „Öffentlichkeit informieren“ vor, dass sie mit Namen und Gesicht in den Medien bekannt werden.

Doch nach dem letzten Donnerstag sieht für Opfer wie Eltern, aber auch für viele katholische Christen in den betroffenen Gemeinden in Weimar die Welt ganz anders aus. Sie erfuhren nicht persönlich, sondern aus der Pressemitteilung Bischof Algermissens zur Tätigkeit von Pfarrer D. in den Pfarrgemeinden Naumburg und Volkmarsen, dass dem beliebten Seelsorger Pfarrer D. , der von 1997 bis 2004 bei ihnen wirkte, im Oktober 1997 auf dem Gebiet des Bistums Fulda ein Strafbefehl zugestellt worden war. Darin wurde er des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen für schuldig befunden, verwarnt und zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 115 DM (13.800 DM) verurteilt sowie unter eine Bewährungszeit von 2 Jahren gestellt. Im gleichen Jahr noch hat ihn der damalige Bischof von Fulda, Erzbischof Johannes Dyba, zu Bischof Wanke „in die Diaspora verschoben“ - so stellt es sich nun den bis letzte Woche ahnungslosen Christen dar.

Pfarrer D. verbrachte schon die Bewährungszeit in Thüringen. Nach deren Ablauf zog Priester D. 1999 in ein Pfarrhaus ein und wurde dann ausgerechnet in dem seinerzeit auch als Jugendgefängnis dienenden Gefängnis, aber auch in katholischen Gemeinden als Seelsorger eingesetzt. Zumindest sein letzter unmittelbarer Dienstvorgesetzter, ab 2003 für ihn zuständig, wurde über die einschlägigen Vorstrafen nicht informiert; ihm wurde nur mitgeteilt, D. müssen „aus dem Verkehr“ gezogen werden. Die Christen, mit denen er zusammenleben sollte, wurden natürlich auch nicht informiert. In die JVA hinein muss es wohl auch keine Vorinformation zu den Vorverurteilungen gegeben haben.

Mit Antritt der regulären Seelsorgetätigkeit beginnt die unfassbare Geschichte der damals 10-jährigen Tina, die hier aus Gründen des Personenschutzes nicht weiter ausgeführt wird. Priester D. nähert sich ihr im unmittelbaren kirchlichen Kontext mehrmals unsittlich. Es liegt ihr so schwer auf der Seele, dass Tina fast sechs Jahre braucht, bis sie ihren Eltern darüber berichten kann.

Doch zuvor, im Frühjahr 2004, wurde Pfarrer D. im Jugendgefängnis sexuelle Nötigung eines jungen erwachsenen Gefangenen vorgeworfen. Mit Bekanntwerden der Vorwürfe des Jugendlichen wurde er „über Nacht“, wie es in der überraschten Gemeinde heißt, von Bischof Algermissen ins Bistum Fulda zurückgeholt. Kein Wunder, dass es so rasch kam: Dort wusste man ja um dessen einschlägige Vorstrafen. Die Strafanzeige des Jugendlichen endete mit der Einstellung des Verfahrens im Frühjahr 2006 mangels Beweisen.

Ende April 2006 offenbarte sich dann Tina, nun schon 16 Jahre alt, ihren Eltern, da diese sie immer mal wieder nach ihrem Wohlbefinden fragten. Grund dafür war, dass sie über die eine oder andere Verhaltensweise der Tochter irritiert waren und konnten sich keinen Reim darauf machen konnten. Auch ließ D. bei seinen Besuchsaufenthalten in der Gegend Grüße an Tina ausrichten. Schließlich brach Tina ihr Schweigen, wohlwissend, was dies für katholische Eltern bedeutet. Sie waren schockiert über die Andeutungen, mit denen ihre Tochter das Verhalten des bei vielen beliebten Priesters D. ihr gegenüber beschrieb. In ihrer Not gingen die Wäders zum Ortspfarrer. Der wollte den Missbrauchsverdacht bei Bischof Wanke anzeigen, wurde aber dort gleich an Bischof Algermissen verwiesen, da Pfarrer D. ja nicht mehr im Bistum Erfurt wohnte. Also mussten Opfer und Eltern dem Täter hinterher reisen. Die Missbrauchsbeauftrage des Bistums Fulda ist Behördenmitarbeiterin und persönliche Referentin des Bischofs. In dem ersten Gespräch mit ihr und dem Generalvikar fühlten sie sich angenommen. Ihr Urteil: eine gute „Erstversorgung“, und das nach schon zehn Tagen.

Die dann schon 16-jährige Tina bekam eine Trauma-Therapie bezahlt. Von einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft sahen die Eltern mit Blick auf ihre Tochter ab. Als Bürger der ehemaligen DDR, so sagen sie heute, erschreckte sie der Gedanke, sich an die „staatlichen Organe“ wenden zu sollen. „Kirche“, so Sabine Wälder, „war immer Ort der Sicherheit und des Vertrauens.“ Beim Gespräch fühlten sie sich in ihrer Entscheidung bestärkt. Bischof Algermissen, so ihre Wahrnehmung, würde sich um den Verdacht und den Verdächtigen gut kümmern. Was Tina und ihre Eltern heute wissen: Beim ersten Gespräch im Bischofshaus und später in Thüringen wurde ihnen nie die Tatsache bewusst gemacht, dass es sich bei Priester D. um einen einschlägig Verurteilten handelte, den Bischof Dyba seinerzeit als Problemfall an Bischof Wanke weitergeleitet hatte.

So wehrte die Familie dunkle Vorahnungen ab, die sich zwischenzeitlich immer wieder einstellten, Tina sei nicht das erste und einzige Opfer. Sie setzte ihr Vertrauen in die Hilfe Gottes und die Sorge des Bischofs; beide würden das bestimmt gut erledigen. Aus diesem Grund konnte Tina auch in einem Brief an die Missbrauchsbeauftrage des Bistums Fulda schreiben, dass sie die Sache für erledigt halte. Nach der Pressemitteilung vom letzten Donnerstag steht sie nun vor den Trümmern des Heilungsweges. Ein mit der Familie bekannter Priester hat nun Anzeige gegen Priester D. bei der Staatsanwaltschaft Fulda gestellt. Und obwohl Bischof Algermissen seit Montag bekannt ist, wie sehr die Familie nach der letzten Pressemeldung neu leidet: Angerufen hat er Gerold und Sabine Wälder noch nicht. Bei Tina braucht er es erst gar nicht zu versuchen. Sie will „mit denen“ im Moment nichts mehr zu tun haben."

Das Bistum Fulda hat als Reaktion auf den Text von Bruder Paulus folgenden Pressetext als "Klarstellung" verschickt:

"Bruder Paulus Terwitte berichtet in seinem heutigen Pressetext vom Fall einer jungen Frau aus Weimar, der sich im Jahr 2000 Pfarrer D. mehrmals unsittlich genähert hat. Es ist nicht richtig, dass die Eltern des Opfers bisher nicht über die Vorstrafe von Pfarrer D. informiert waren. Im gemeinsamen Gespräch der Eltern und des Pfarrers von Weimar mit Bischof Dr. Joachim Wanke von Erfurt am 12. Oktober 2006 wurden sie darüber in Kenntnis gesetzt. Ihnen war sowohl die Bestrafung von Pfarrer D. bezüglich des sexuellen Missbrauchs von Kindern aus dem Jahr 1994 bekannt gemacht als auch der Vorfall bezüglich eines ehemaligen Strafgefangenen mitgeteilt worden. Dieser war zur Zeit, die den Vorwurf betraf, 20 Jahre alt. Es ist somit deutlich, dass es sich bei dem Vergehen an der damals Zehnjährigen keineswegs um einen „Ausrutscher“ gehandelt hat.

Im Juni 2004 wurde die Pfarrgemeinde in Weimar von Bischof Wanke unterrichtet, dass es Vorwürfe gegen Pfarrer D. gab, die zu klären seien, und er deshalb nicht mehr eingesetzt werde. Gleichzeitig wurde der Bischof von Fulda darum gebeten, Pfarrer D. zurückzurufen. Dies geschah zum 31. Juli 2004. Mit Wirkung vom 1. August 2004 wurde D. in den einstweiligen Ruhestand, nach Abschluß des gegen ihn anhängigen Verfahrens und der Erstellung eines Fachgutachtens dann im März 2007 in den endgültigen Ruhestand versetzt.

Es fand zwar kein Gespräch mit dem Bischof von Fulda, wohl aber fanden mehrere Gespräche mit der Missbrauchsbeauftragten des Bistums Fulda, Frau Anne Schmitz, und dem damaligen Personaldezernenten statt. Das letzte Gespräch war am 13. Oktober 2009 mit den Eltern und dem jetzigen Ortspfarrer in Weimar.

Sowohl von seiten des Bistums Fulda wie auch des Bistums Erfurt wurden die Eltern mehrfach ermutigt, Strafanzeige gegen Pfarrer D. zu stellen. Bislang hat die Familie dies vehement abgelehnt und um äußerste Diskretion zum Schutz ihrer Tochter seitens der Kirche gebeten. Deshalb wurde in der Pressemitteilung vom 18. März 2010 dieser Fall auch nicht genannt. Zu Beginn dieser Woche meldete sich Bruder Paulus Terwitte als Priester, der mit der Familie bekannt und verbunden ist, und stellte in den Raum, dass die Familie nunmehr doch Strafanzeige gegen D. erstatten wolle.

Bischof Algermissen hat öffentlich in der Pressekonferenz vom 25. März alle Opfer von Missbrauch durch Priester und Mitarbeiter des Bistums Fulda um Vergebung gebeten. Die Missbrauchsbeauftragte wies in derselben Pressekonferenz ausdrücklich auf diesen Fall hin, nachdem durch Pater Terwitte jetzt der öffentliche Rahmen gewählt worden war (siehe Hessenschau vom 25. März). " +++

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