SPEZIAL

Dem Lipödem den Kampf angesagt:

mein Weg in ein neues Leben

MEIN Erfahrungsbericht (2)

Eines stand nach der Diagnose sofort für mich fest: Ich kann und werde mich dieser Krankheit nicht kampflos überlassen. Es folgten tagelange Recherchen, zahlreiche schlaflose Nächte und einige Telefonate – dann stand mein Entschluss fest. Das Lipödem muss weg und zwar so schnell wie möglich! Bei meiner Suche nach Kliniken stieß ich auf die Rosenparkklinik in Darmstadt, die mich mit Ihrer mittlerweile fünfzehnjährigen Erfahrung im Bereich der Lipödem-Liposuktion überzeugen konnte.

 

Die Liposuktion beim Lipödem ist, nach dem letzten Beschluss des Bundesausschusses, keine Regelleistung der Kassen. Es werden von den anbietenden Krankenhäusern Kostenvoranschläge in Anlehnung an die GOÄ erstellt, die dann bei den Kassen eingereicht und einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. In der Regel wird auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) eingeschaltet.

 

Kampf gegen Windmühlen?

 

In Gesprächen mit Betroffenen hatte ich bereits erfahren, dass der Antrag auf Kostenübernahme ein jahrelanger Kampf werden würde. Unbeeindruckt sendete ich den Antrag gemeinsam mit drei Befunden verschiedener Fachärzte und einer persönlichen Stellungnahme an meine Krankenkasse. Einige Wochen später erhielt ich einen großen Umschlag. Darin enthalten: ein fünfseitiger Fragebogen und die Bitte, ihnen Ganzkörperfotos zukommen zu lassen. Wie hart es ist, wildfremden Menschen halbnackte Bilder von sich zu senden, wenn man sowieso schon einen Kampf mit seinem eigenen Körper austrägt, ist kaum nachvollziehbar, wenn man es nicht selbst durchleben musste. Tagelang habe ich mit mir gerungen, ob ich deren Aufforderung nachkommen soll.  Ich habe nachts kaum noch geschlafen, mich gefragt, ob ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Zweifellos ist eine Entscheidung dafür jedoch für den fortlaufenden Antrag unumgänglich und so habe ich mich letzten Endes überwunden.

WIESO?
WESHALB?
WARUM?

Warum ich meine Geschichte hier erzähle hat einen ganz bestimmten Grund: ich möchte weder Mitleid, noch möchte ich mich rechtfertigen. Stattdessen möchte ich Sensibilisieren für eine Krankheit, die leider noch so unbekannt ist, dass nicht einmal die Krankenkassen deren schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen anerkennen. Die Krankheit Lipödem muss das Image der Banalität verlieren. Daher möchte ich die Menschen an meinem Schicksal teilhaben lassen. Es ist mir eine Herzensangelegenheit anhand meines Erfahrungsschatzes über die Krankheit aufzuklären und vielleicht erkennt sich auch die ein oder andere Leserin in meinen Erzählungen wieder.

Es verstrichen wieder einige Wochen, bis die erste Absage in meinen Briefkasten flatterte. In dem Schreiben der Kasse wurden alle drei Befunde angezweifelt und mir wurde unverschämter Weise eine komplett absurde neue Krankheit angedichtet. Wütend über solch eine Dreistigkeit legte ich Widerspruch ein. Diesem wurde mir ziemlich genau eine Woche später schriftlich stattgegeben, jedoch mit dem Hinweis, dass sich die Bearbeitung des Falles in die Länge ziehen könne, da aktuell einige Widersprüche abzuarbeiten seien. Die zweite Absage folgte nach rund drei Monaten Wartezeit. Dieses Mal waren es zehn Seiten. Eine schriftliche Ausfertigung dessen, was ich eingereicht hatte, wie es beurteilt wurde, warum dem Antrag nicht bewilligt wurde und was ich stattdessen tun solle: Gewichtsreduktion und Lymphdrainagen. Ratschläge, die nur Menschen geben können, die sicher weder mit der Krankheit noch mit der Psyche der betroffenen Frauen auseinander gesetzt haben. Wozu fülle ich einen Berg voll Fragebögen aus, in denen ich haarklein mein Leiden zerpflücke, lasse wildfremde Menschen in das Innerste meiner Seele blicken, wenn man am Ende solche Reaktionen erfährt?

 

Auf eigene Kosten

 

Drei Operationen waren notwendig, um mich von meinen Schmerzen zu befreien. Ich habe sie mittlerweile, dank der finanziellen Unterstützung meiner Familie, hinter mich gebracht. Meine Beine wurden in zwei Sitzungen vom Lipödem befreit. Erst die Innen- dann die Außenseite. Der dritte Schritt waren die Arme. Die Eingriffe wurden unter Tumeszens-Lokalanästhesie vorgenommen. Dabei wird eine verdünnte Narkoselösung in größeren Mengen in das Unterhautfettgewebe eingebracht, was bedeutet, dass man während der Operation wach ist. Eine völlig neue Erfahrung für mich – aber keine unangenehme. Denn die Schmerzen während der Operationen und in den Tagen danach, stehen einfach nicht in Relation zu der Freude, die jedes einzelne Mal überwiegte und mich alle Schmerzen vergessen ließ. Sowohl die Op-Schwestern der Rosenparkklinik , mein behandelnder Dermatologe Dr. med. Oliver Weirich, als auch der liebevolle Anästhesist, der mehrfach während den Sitzungen in den Op-Saal kam, mir über die Wange streichelte und sich nach meinem Befinden erkundigte, versuchten mir alles so leicht und angenehm wie nur möglich zu gestalten. Ich habe mich in jeglicher Hinsicht umsorgt und wohl gefühlt. Danke an dieser Stelle!

 

Die einzig dramatische Einschränkung erfuhr ich nach der Absaugung an den Armen. Ab dem zweiten Tag war es mir aufgrund des Muskelkaters und des unangenehmen Spannungsgefühls nicht möglich, mich alleine anzuziehen, geschweige denn mir die Haare eigenständig zu föhnen. Die Arme über den Kopf zu heben war so gut wie unmöglich. Aber auch diese Hürde wurde von Tag zu Tag überwindbarer. Natürlich gehören regelmäßige Lymphdrainagen und das Tragen der postoperativen Kompressionsware in den Wochen nach den Operationen zum Alltag. Die typischen Lipödem-Schmerzen jedoch waren bereits am Tag nach der ersten Absaugung komplett verschwunden und meine wöchentlichen Schwimmeinheiten förderten den Heilungsprozess.

 

Grundgesetz Artikel 2.2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

 

Ich kann nur jeder Frau empfehlen, der es möglich ist oder ermöglicht wird, sich den Liposuktionen zu unterziehen. Und was die Kostenübernahme der Krankenkassen angeht: bitte gebt euch nicht kampflos geschlagen. Legt auf Absagen hin Widerspruch ein. Auch wenn eine Menge Papierkram auf euch zukommt, es einen Schwung Überwindung kostet und es mit viel Aufwand verbunden ist.  Wir haben alle das Recht auf ein schmerzfreies Leben! Wenn wir Ablehnung still und leise hinnehmen, wird sich weder in Hinblick auf die Akzeptanz in der Gesellschaft, noch in Hinblick auf die Akzeptanz im Bereich der rechtlichen Lage je etwas ändern. Eine Dame hat bei Facebook einen tollen Kommentar formuliert: „Wir sind Viele und wir müssen gehört werden!“

 

Für mich persönlich, war die Entscheidung für die Liposuktionen der erste Schritt in ein neues Leben. Ein schmerzfreies Leben.  (ch) +++

Lipödem Hilfe Deutschland e.V.

 

Das Ziel des Vereins ist es, in Zusammenarbeit mit verschiedenen, öffentlichen Institutionen, Ärzten, Krankenhäusern etc. mehr Akzeptanz für die Krankheit in der Öffentlichkeit zu schaffen. Des Weiteren wird das Umdenken bei den Krankenkassen und den Medizinischen Diensten angestrebt, was die Liposuktion beim Lipödem betrifft. Sie kämpfen dafür, dass diese Behandlung nicht mehr als Schönheitsoperation eingestuft und endlich als vertragliche Leistung in den sogenannten Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wird.

 

Leider fehlen dafür erforderliche prospektive, randomisierte Langzeitstudien. Auch in dieser Hinsicht versuchen sie, mit entsprechenden Stellen zusammen zu arbeiten, damit diese Studien begonnen werden. Die Gesundheitspolitik richtet sich immer mehr gegen Patienten  mit  chronischen Erkrankungen und dagegen muss was getan werden.

 

Weitere Informationen unter: www.lipoedem-hilfe-ev.de oder auf Facebook