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Hessen startet mit Luftrettung in der Nacht - Kritik: kein Ausschreibungsverfahren
16.04.15 - Hessen startet mit dem Nachtflug-Betrieb eines Rettungshubschraubers. Er soll im Notfall den Arzt schnell zur Einsatzstelle bringen und den Patienten in eine entsprechende Fachklinik fliegen. Das bestätigte das Hessische Sozialministerium EXKLUSIV auf Nachfrage von OSTHESSEN|NEWS. „Es handelt sich um einen einjährigen Modellversuch, der am 01. Juli 2015 offiziell startet“, sagt Esther Walter, Sprecherin des Ministeriums in Wiesbaden. Das Land Hessen geht damit einen neuen Weg und weicht vom Fachplan Luftrettung, der keinen Nachtflug vorsieht, ab. Normalerweise sind die Rettungshubschrauber nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang einsatzbereit. Hessenweit gibt es drei Luftrettungszentren in Fulda, Kassel und Frankfurt am Main. Darüber hinaus gibt es den Intensiv-Transport-Hubschrauber (ITH) in Gießen.
Der ITH "Christoph Gießen", der von der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und dem privaten Flugunternehmen Heli-Flight betrieben wird, soll bei diesem Modellversuch für Primäreinsätze in der Nacht alarmiert werden. 15 Minuten nach dem Alarm über die Leitstelle in Gießen sei "Christoph Gießen" in der Luft. Bisher startete dieser 24 Stunden-Hubschrauber nur bei sogenannten Sekundäreinsätzen, also Verlegungen von Krankenhaus zu Krankenhaus.
Kritik hagelt es bei diesem Vorhaben, weil es kein öffentliches Ausschreibungsverfahren unter den Leistungserbringern ADAC, DRF und Bundespolizei gab. Und ein zweites Manko: Ist der Bedarf für die Luftrettung in der Nacht überhaupt vorhanden? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Eine Bedarfsanalyse gab es in Hessen nicht.
Aus dem zuständigen Sozialministerium heißt es: „In letzter Zeit ist in Einzelfällen der Wunsch nach Primäreinsätzen der Luftrettung in der Nacht geäußert worden und in den frühen Morgenstunden bereits erfolgt. Die aufgrund der Technik erweiterten Einsatzmöglichkeiten der Hubschrauber sowie ansteigende medizinische Anforderungen und Veränderungen im Gesundheitswesen lassen eine zunehmende Einsatzanforderung auch während der Nachtstunden erwarten. Der Modellversuch soll gerade dazu dienen den Bedarf zu untersuchen und zu klären.“
Stationiert ist der Rettungshubschrauber Christoph Gießen an der im vergangenen Jahr eingeweihten, knapp vier Millionen Euro teuren Luftrettungsstation in Gießen(Mittelhessen). Sein Einsatzradius: zwischen 60 und 80 Kilometer – damit auch Teile Osthessens, wie die Landkreise Vogelsberg, Hersfeld-Rotenburg oder Fulda. „Der Hubschrauber soll insbesondere bei traumatologischen Notfällen, bei Transporten über längere Distanzen und bei Verkehrsunfällen mit mehreren Schwerverletzten eingesetzt werden.“ Wie das Ministerium mitteilt, verfüge der Hubschrauber vom Typ Eurocopter AS 365 Dauphin über Nachtsichtgeräte und die Piloten seien für Nachtflüge speziell geschult.
Ein Problem bleiben auch die Landeplätze in der Nacht. Der Pilot muss sie gut kennen und sie müssen entsprechend ausgeleuchtet werden – etwa durch die Feuerwehr. Die wiederum muss über entsprechende Technik verfügen und hat nachts auch längeren Vorlauf. Experten sagen: Luftrettung bei Primäreinsätzen mache nur dann Sinn, wenn der Patient über lange Zeit, beispielsweise in eine Fachklinik, transportiert werden müsse. In Hessen sei die Notarzt-Versorgung am Boden gut, deshalb bleibe auch die Frage offen, ob Nachtflug mit höherem Risiko für Crew und Patienten tatsächlich notwendig sei. (Christian P. Stadtfeld). +++