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08.11.11 - FULDA
Sie sind die „Kings of the road“, sie sehen ferne Länder und fahren glänzende Trucks. Doch so traumhaft wie der Beruf des Kraftfahrers in einigen Anzeigen dargestellt wird, ist er gar nicht. Mario B. fährt für eine osthessische Spedition in Friedewald, ist seit 25 Jahren auf der Straße unterwegs und weiß, wie das Leben wirklich ist: „Am schlimmsten sind die langen Arbeitszeiten, das endlose Ausharren auf den Rastplätzen und die wenige Zeit, die man mit der eigenen Familie verbringen kann." Trotz aller Probleme fährt der 42-Jährige gern und ist froh, seine Lebengefährtin Antje K. als Beifahrerin an seiner Seite zu haben. "Schade ist nur, dass unsere Arbeit oft nicht anerkannt wird und viele Leute auf uns schimpfen. Dabei würde sich Jeder beschweren, wenn er am Morgen seine Brötchen nicht mehr kaufen kann, weil der Bäcker kein Mehl mehr hat“, erzählt Mario B. Und tatsächlich – 80 Prozent des Transportaufkommens in Deutschland wird über den Straßengüterverkehr bedient, so dass der Lkw nach wie vor der dominierende Verkehrsträger ist. Doch obwohl die Konjunktur brummt, die Auftragsbücher dicker werden und die Frachtraten steigen, fehlen die Fahrer.
Im Maritim Hotel in Fulda wurde am heutigen Dienstag in einer Fachkonferenz über das Problem des Lkw-Fahrermangels beraten. Dabei waren über 80 Unternehmer aus der Transport-, Speditions- und Logistikbranche anwesend. „Dieses Thema ist ein Thema mit Zukunft, das sich nicht von allein lösen lässt und alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt“, erklärte Prof. Dr. Dirk Lohre von der Universität Heilbronn. Er eröffnete die Vorträge mit Einblicken in die Ursachen, die Bedeutung und Konsequenzen des Mangels an Fahrern. „Obwohl es in Deutschland ungefähr 63 500 suchende Lkw-Fahrer gibt, werden nur circa 15 000 Stellen besetzt.“ Doch warum spricht man dann von einem Fahrermangel? Dies läge laut Lohre an dem Problem, dass gewisse Aspekte den Beruf für Viele unattraktiv machen und die potenziellen Fahrer auf Stellenangebote so gar nicht erst reagieren. Dazu gehören Faktoren wie der ständige Zeitdruck, der raue Umgangston in Disposition und Lager und eine zu niedrige Entlohnung für zu lange Arbeitszeiten. Bei der Jugend führt dies dazu, dass über 18 Prozent die Berufskraftfahrerausbildung abbrechen und die Abbrecherquote fast doppelt so hoch wie in anderen Berufsgruppen ist.
Der Vizepräsident des BGL Claus Herzig erklärte, die Fahrerproblematik sei eine Folge der demografischen Entwicklung in Deutschland. „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden ein Drittel der deutschen Kraftfahrer altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden.“ Jährlich seien damit mehr als 20 000 Fahrerarbeitsplätze zu besetzen. Zudem wurden in den Jahren 2000 bis 2005 jährlich nur zwischen 680 und 840 neue Berufskraftfahrer-Ausbildungsverträge abgeschlossen. Hinzu kommen Sonderprobleme bei dem Kraftfahrerberuf: Der Frauenanteil bei Kraftfahrern liegt zudem nur bei 4,3 Prozent. Männer teten in der Regel mit 60 und Frauen mit 58 Jahren in die Rente ein. „Der Beruf ist eben ein echter Knochenjob und es muss viel getan werden, um die Jugend für diese Arbeit zu begeistern“, so Herzig.
Immerhin – Unternehmen und Verbände sind sich der Situation bewusst und reagieren. Durch umfangreiche Ausbildungs- und Informationskampagnen in Schulen und auf Messen ist die Zahl der Auszubildenden im Laufe dieses Jahrzehnts um das Dreieinhalbfache gestiegen. Zudem wird durch das seit der Mauteinführung durch den BGL durchgesetzte Harmonisierungspaket die Ausbildung zum Berufskraftfahrer pro Ausbildungsplatz mit bis zu 35 000 Euro gefördert. „Doch das reicht nicht“, so Herzig. „In den Unternehmen muss die Arbeit des Fahrers viel stärker geschätzt und mehr mit ihm gesprochen werden.“ Zudem müsse es verstärkte Gesundheitspräventionen und eine angemessene Lohnanpassung geben.
„Entscheidend ist für uns aber, dass wir mehr Freizeit kriegen“, erklärt Mario B. „Im Ausland machen sie es vor, dort fährt man zwei bis drei Wochen und ist dann eine Woche zu Hause. Da kann man auch mal was schaffen und das wenige Familienleben wenigstens ein bisschen nachholen“. Des weiteren sollten die Betriebe mehr Wert auf die Fahrzeuge legen, die heute zum Teil ohne jeglichen Komfort ausgestattet seien. „Und dabei sind wir nun wirklich nicht anspruchsvoll. Ich denke wenn da etwas getan wird, dann würde die Jugend den Job auch attraktiver finden.“, so der 42-Jährige. „Und entscheidend bleibt auch eins“, sagt Beifahrerin Antje K. Man müsse der Jugend den Job von vornherein realitätsnah rüberbringen, sie aufklären und bestimmte Rahmenbedingungen verbessern. „Und dann können sie von Anfang an entscheiden: entweder ich lebe mit dem Beruf, oder ich hänge ihn an den Nagel“, erklärt die 33-Jährige. (Anne Baumann) +++

- Fotos: Anne Baumann

Im Hotel Maritim in Fulda wurde bis in die Abendstunden hinein diskutiert.


Prof. Dr. Dirk Lohre klärte über Ursachen und Konsequenzen des Fahrermangels auf.

Die 16. Shell Jugendstudie klärt über Wünsche und Vorstellungen der Jugend auf.


Über 80 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Praxis waren anwesend.

Claus Herzig berichtete darüber, was Verbände und Unternehmen tun können.

Werbekampagnen wurden bereits gestartet.

Die Fahrer sind sehr lange unterwegs und haben wenig Zeit für Familie.

