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Nächtliches Jerusalem mit Felsendom. - Fotos: Frank L. Seidl

03.08.10 - REGION

Tote Steine, lebendige Geschichte(n) - BDKJ-Jugendliche reisten nach Jerusalem

16 junge Erwachsene reisten Mitte bis Ende Juli für 15 Tage nach Israel und Palästina. Im Heiligen Land erwarteten sie viele historische Stätten aus der Römerzeit, biblische Orte und unter die Haut gehende Informationen aus erster Hand vom Nahost-Konflikt. Die Reise wurde vom Jugendbildungsreferat Hanau und dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Fulda angeboten. Lesen Sie nachfolgend eine Reisereportage von Frank L. Seidl:

Vielseitig und voller Programm war die Reise des BDKJ Fulda Mitte Juli ins Heilige Land. Bei der Begegnungs- und Erlebnisreise ging es darum, biblische Stätten zu besuchen und tiefer in die Zeit von Jesus Christus einzutauchen, aber auch darum, andere Religionen im Schmelztiegel Israel besser kennen zu lernen. Direkt vor Ort wollten sich die jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren aus ganz Hessen auch über den verwirrenden Nahost-Konflikt informieren. Und natürlich sollten daher auch Begegnungen mit Menschen aus Israel und Palästina nicht zu kurz kommen. Vorbereitet wurde die Reise von Michael Hartmann-Peil, Jugendbildungsreferent des Bistums Fulda, und Frank Seidl von der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG). Hartmann-Peil war bereits sieben Mal im Heiligen Land, Seidl war zuletzt mit einer Pfadfinderdelegation während des verschärften Konfliktes zu Ostern 2002 in Jerusalem.

Eine Reise ins Heilige Land, die deutlich mehr Aspekte umschließt als auf einer Pilgerfahrt üblich, muss gewissenhaft vorbereitet werden. In einem ersten Treffen in Frankfurt gab es für die Reiseteilnehmer/innen von Bad Hersfeld bis Heppenheim die Gelegenheit, sich kennen zu lernen. Schon da zeigte sich, dass die jungen Erwachsenen gut miteinander harmonieren. Im Jüdischen Museum gab es eine Einführung in die Geschichte des jüdischen Volkes und des Judentums. Während eines Vorbereitungswochenendes im Ludwig-Wolker-Haus in Kleinsassen (Rhön) wurde das gegenseitige Kennenlernen begleitet durch Informationen über den Reiseverlauf und inhaltlich mit Informationen über die Geschichte des Landes, Hintergründe des Nahost-Konfliktes sowie die Ursprünge des Judentums, der Christenheit und des Islams.

Tote Steine – römische und Geschichte der Religionen

Natürlich durfte der Besuch von historischen Stätten nicht fehlen. Die Überreste der römischen Besatzungszeit konnten in Caesarea oder Bet Shean bestaunt werden. Die Kreuzfahrerstadt Akko im Norden durfte dabei ebenso wenig fehlen wie ein Besuch des Herodion bei Betlehem, eines künstlichen Festungshügels von Herodes mit unterirdischen Gängen. Die mit 1300 Fuß unter dem Meeresspiegel tiefste und mit 10.000 Jahren älteste Stadt der Welt, Jericho, beeindruckte die Teilnehmer/innen auch durch ihr arabisches Markt-Flair. Noch mehr waren alle von der Altstadt von Jerusalem mit seinen verwinkelten Gassen und dem vielseitigen Basar begeistert. Manche Male mussten sie sich aus aufdringlichen Verkaufsangeboten herauswinden, aber sie kamen auch oft ins Gespräch mit Tuch- oder Gewürzhändlern und konnten bei einem Zatar-Tee mit Honig dem bunten Basar-Treiben für kurze Zeit entgehen.

Biblische und weitere religiöse Stätten

Nazareth stand genauso auf dem Programm wie die biblischen Stätten in Jerusalem mit der Grabeskirche und dem Abendmahlsaal oder die Geburtskirche in Betlehem. Am See Genezareth verbrachte die Gruppe einen ganzen Tag, gestaltete einen Gottesdienst mit dem Benediktiner-Pater Matthias aus Tabgha direkt am See und besuchte verschiedene Orte: dem Berg der Seligpreisungen, der Stelle der Brotvermehrung und die Ausgrabungen von Kafarnaum, dem Ort, an dem auch Jesus eine Zeit lang gelebt haben soll. Die Gruppe besuchte auch eine Taufstelle am Jordan. Auch an diesem Tag blieb der politische Aspekt nicht außen vor. In einer kleinen Tour fuhr man auf die Golanhöhen und fand dort, an der Grenze zu Syrien und Jordanien noch Stacheldrahtzäune, Befestigungen und Stellungen aus den kriegerischen Auseinandersetzungen vor. An vielen Stellen warnen Schilder vor Mienen.

Begegnungen und Gespräche sorgten für Klarheit: Es bleibt verwirrend und verworren

Im Norden Israels wurden einst unzählige palästinensische Dörfer geräumt und später, an Heiligabend, zerstört. Einen solchen Ort namens Igrit, besuchte die Gruppe und nahm die von Heimatliebe und nicht von Hass geprägten Erzählungen eines Palästinensers auf, dessen Familie aus dem Dorf stammt. Nur die kleine Kirche auf dem Hügel steht noch, der Rest des alten Dorfes kann man nur noch anhand der Wege und Grundmauern erkennen. In einem jüdischen Begegnungs- und Gästehaus in Haifa hatten die jungen Deutschen Gelegenheit, sich mit Gleichaltrigen in Kleingruppen intensiv über die Situation vor Ort und deren Auffassung, über das Leben im Heiligen Land sowie Alltag und Freizeit zu unterhalten. „Ja, wir haben Land von den Palästinensern okkupiert. Aber wir haben dafür gekämpft, warum sollten wir es also zurückgeben.“, erklärt eine 17-jährige Israelin. Die Erfahrung habe gezeigt, dass es keinen Frieden bringe, denn die Palästinenser wollten immer mehr zurück und haben keinen Frieden gehalten.

„Insbesondere in solchen Gesprächen mit Menschen verschiedener Gruppen wird deutlich, dass die Wahrheit nicht nur irgendwo dazwischen liegt, sondern man der verwirrenden Wirklichkeit hier Rechnung tragen muss, dass es mehrere Wahrheiten gibt.“, fasst Frank Seidl die Eindrücke zusammen. Es ginge hier also auch für die Reisegruppe nicht darum, die absolute – nicht existente – Wahrheit zu finden, sondern zuzuhören und mehr über die individuellen Wahrheiten zu erfahren, um den unverständlichen Nahost-Konflikt und deren Hintergründe ein wenig besser begreifen zu können. Nur wenn man die Geschichte des jüdischen Volks mit ihrer Verfolgung und dem Leben in Angst begreife, kann die tiefe Sehnsucht nach einer Heimat und dem Aufbau einer maximalen Sicherheit nachvollziehen. Ob Angriff und Kontrolle als Selbstverteidigung die bessere Sicherheit bringe als eine gute Nachbarschaft durch redliche und ehrliche Friedensversuche auf beiden Seiten mit „gerechten Lösungen“, diese Frage lässt die Geschichte vorerst offen.

Nirgends prallen solche Wahrheiten so widersprüchlich aufeinander als in Hebron, an der Grabesstätte Abrahams, die sich – durch starke Sicherheitskontrollen getrennt – Juden und Moslems in einem Gebäude teilen. Christen dürfen als einzige beide Seiten besuchen und einen Blick von beiden Seiten auf das Grabmal werfen. Hier in Hebron leben Palästinenser im Erdgeschoss und Juden darüber, getrennt durch ein Sicherheitsnetz. Die Militärpräsenz ist hier besonders hoch und die Spannung ständig zu spüren. Die deutschen Jugendlichen waren erst spontan einen Moment in einem Grenzhaus eines Palästinensers zu Gast. Auf dem Dach stehend wurden sie von den Soldaten deutlich aufgefordert, wegzugehen. Einen Augenblick und einen Checkpoint später waren wir genau auf der anderen Seite zu Gast in einem jüdischen Museum und bei einem Siedler als Gesprächspartner, die gleichen Soldaten waren nun „auf unserer Seite“. Das war sicherlich einer der widersprüchlichsten und beeindruckenden Momente der Reise. Die vor wenigen Jahren begonnene Mauer trennt auf bedrückende Weise Israel von palästinensischen Gebieten ab. Eine Mauer, die Gebietsansprüche und politischen Status zugleich manifestieren. Mitten in Betlehem wird das einengende acht Meter hohe Mauerwerk besonders sichtbar.

Schmelztiegel Jerusalem

In Jerusalem kommt alles zusammen. In der Altstadt prallen jüdisches und arabisches Viertel aufeinander, man lebt nicht zusammen, aber immerhin nebeneinander her. Mit einer biblisch-religiösen Führung an einem Tag und einer politischen Führung am nächsten Tag wurde die Altstadt mit seinen verwinkelten Basar-Gassen erkundet. Pater Thomas Maier von Sankt Anna am Löwentor in Ost-Jerusalem erzählte authentisch und liebevoll von seinen Erfahrungen in der Stadt und die Journalistin Inge Günther (Frankfurter Rundschau) berichtete an einem Abend von ihrer Einschätzung der Lage. In der Bir Zeit Universität in der Westbank hatte die Gruppe ein Gespräch mit der langjährigen Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Nasser, im Vertretungsbüro der Bundesrepublik Deutschland in Ramallah bekamen die jungen Erwachsenen die offizielle deutsche Sicht zum Friedensprozess erläutert. Viele Gespräche und Begegnungen begleiteten die neugierige Reisegruppe in den zwei Wochen. Und auch für die eigene Geschichte blieb viel Zeit: Betroffen machten die Schilderungen einer Shoa-Überlebenden und individuelles Begreifen war in der großen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gefragt. Eine Erkenntnis aus dem Begriffenen war, dass die heutige Jugend in Deutschland wohl weniger mit lähmenden Schuldgefühlen anfangen kann. Wichtig ist jedoch die Erinnerung an das unglaublich Geschehene. Wenn sich hieraus ein Gefühl der Verantwortung für Menschlichkeit und Gerechtigkeit im eigenen Land wie überall in der Welt entwickelt, haben die Menschen etwas Wertvolles gelernt, was hilft, Frieden zu wahren und Menschenrechte zu schützen.

Jeder hatte am Schluss so seine eigenen Highlights: Ob es der Gottesdienst am See Genezareth war, das Baden im Toten Meer, die individuellen oder Gruppen-Gespräche mit Palästinensern oder Israelis, ein jüdischer Feiertag an der Klagemauer, der Moment der Stille in einer Kirche oder Gedenkstätte, abendliche Gruppenspiele, das Erklimmen einer Höhle in Qumran, der Shabatt-Gottesdienst in Haifa oder das spontane Fußball-Spiel mit Pfadfindern in Beit Jala bei Betlehem. Die Gruppe war sich jedoch in der Reflexion einig: Die Reise war anstrengend und vollgepackt mit Programm, aber voll mit Eindrücken und wertvollen Begegnungen, innerhalb wie außerhalb der Gruppe. Am Schluss gab es sogar noch einen Reisesegen vom Nationalkuraten der katholischen Pfadfinder in Palästina, Father Ibrahim Shomali. Es war eine Reise mit vielen Erkenntnissen, mit bedrückenden und beeindruckenden Erlebnissen. Nun freuen sich die jungen Erwachsenen auf ein Nachtreffen mit viel Zeit zum Schwätzen und zum Anschauen der vielen Fotos. (Frank L. Seidl) +++



Ausgrabungsstätte Bet Shean.


Gottesdienst am See Genezareth.

Wachsoldat in Hebron.


Hebron - oben Israel, unten Palästina.

In Hebron m Guide Faten Mukarker (mitte vorne).


Klagemauer mit Felsendom im Hintergrund.

Vor dem Felsendom Jerusalem.


Marilu und Julia am Gewürzstand.

Reiseleiter Hartmann-Peil mit Siedler in Hebron.


Frank Seidl an der Klagemauer in Jerusalem.

Shabatt in der Leo-Baeck-Synagoge Haifa.


Reiseleiter Hartmann-Peil mit Siedler in Hebron.

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