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23.08.06 - Fulda

Schneller und öfter arm dran?! CARITAS untersuchte Armutstendenzen im Bistum

Seit dem 1. Januar 2005 gilt die neue Sozialgesetzgebung – als Hartz IV ins Gedächtnis der Bevölkerung eingesickert. Kerngedanke der Gesetzgeber bei dieser Novellierung war es, soziale Hilfe in der Regel nur noch Menschen zukommen zu lassen, die aus ihrer Sicht erwerbsunfähig und auf finanzielle Unterstützung durch den Staat angewiesen sind, weil sie sich nicht selbst helfen können. Im Klartext: Wer arbeiten kann, soll es auch und muss seinen Arbeitswillen dadurch unter Beweis stellen, dass er selbst einfachste Tätigkeiten verrichtet.

Dementsprechend wurde die Arbeitslosenhilfe in der alten Form ersetzt durch das so genannte Arbeitslosengeld II – einer Sozialhilfe und nicht mehr aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung finanziert. Aber nicht nur arbeitslose sondern auch andere bedürftige Menschen sind durch die Neuregelung der Sozialgesetzgebung betroffen. Bei Einführung der entscheidenden Sozialgesetzbücher SGB II und SGB XII hatten die Wohlfahrtsverbände ihrer Befürchtung Ausdruck verliehen, dass es zu einer steigenden Verarmungstendenz kommen würde. Die Caritas Fulda wollte es aber ganz genau wissen.

Im Sommer 2005 konstituierte sich für eine „Bestandsaufnahme Armut“ beim Diözesan-Caritasverband eine Arbeitsgruppe: Im Auftrag der Geschäftsleitung recherchierten Josef Gebauer, Ressortleiter Gemeindecaritas, Franz J. Meyer, Referent Soziale Dienste, Elvira Diel, Mitarbeiterin im Referat Kindertagesstätten sowie Malte Crome, Ressortleiter Personal/Recht, in verschiedenen Tätigkeitsbereichen die Entwicklung. Als Recherchefelder nahmen sich die vier den Regionalcaritasverband Kassel mit seinen Sozialen Diensten und der Streetwork, die Allgemeinen Sozial- und Lebensberatungen sowie die Schuldnerberatungen der Regionalcaritasverbände Fulda und Marburg, die Kindertagesstätten sowie die Beratungsangebote des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) für Schwangere und Alleinerziehende in Fulda vor.

Im Ergebnis bestätigte sich die Vermutung: Wie deutschlandweit ist auch im osthessischen Bistum Fulda eine forcierte Verarmungstendenz deutlich auszumachen. Wie Josef Gebauer unterstreicht, machten sich Mitglieder der Arbeitsgruppe die Mühe, nicht einfach nur den Zusammenhang zwischen den Reformgesetzen und dem Anstieg der als arm zu bezeichnenden Menschen zu dokumentieren. „Wir wollten auch die individuellen Gründe für die verstärkte Verarmung herausarbeiten“, betont er. „Als ein besonders markantes psychosoziales Moment ließ sich dabei der Übergang vom Arbeitslosengeld I zu Arbeitslosengeld II festmachen. Es hat viele Menschen stark verbittert, dass sie nach womöglich jahrzehntelanger Einzahlung in die Sozialkassen nur wenige Monate Arbeitslosengeld erhielten und dann in die Sozialhilfe abgeschoben wurden...“

Besonders von der Armut betroffene Bevölkerungsgruppen sind neben den Arbeitslosen die Kranken und Suchtkranken, die Alleinerziehenden sowie die Wohnungslosen. Als bemerkenswert wurde seitens der Schuldnerberatung vermeldet, dass das Klientel immer jünger wird. Beim SKF nannte man als besonders entscheidend, dass nur noch Pauschalbeträge zur Hilfe ausgezahlt werden. Zuschüsse für Sonderanschaffungen werden praktisch nicht mehr gewährt, es ist aber nach Erfahrung der Caritas utopisch zu erwarten, dass Menschen von der gewährten Sozialhilfe Geld für Sonderausgaben ansparen können. So müssen beispielsweise auch erzwungene Umzüge in kleinere Wohnungen auf eigene Kosten vorgenommen werden. Jeder, der schon einmal umgezogen ist, weiß, dass solch ein Vorgang erhebliches Geld kostet...

Verarmung macht sich nach den Ergebnissen der Arbeitsgruppe bei der gesundheitlichen Verfassung, bei der Bildung sowie bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und bei den sozialen Kontakten bemerkbar. Arme Menschen, vor allem aber verarmte Menschen ziehen sich zurück. Sie vernachlässigen ihre Sozialkontakte und ihre gesundheitliche Vorsorge. Und seit Pisa ist dokumentiert, dass es einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen Bildungsstand und sozialer Herkunft gibt. Josef Gebauer: „Es gibt vielleicht keine neuen Gründe, die zur Armut führen, aber Hartz IV hat die Situation verschärft, und betroffene Menschen fallen heute viel schneller durch die größer gewordenen Maschen des sozialen Netzes!“

Um aus den Erkenntnissen der Recherche eine Strategie und konkrete Handlungsleitlinien zu gewinnen, veranstaltete die Caritas Fulda mit ihren Leitungskräften eine erste Klausurtagung. Als Leitsätze wurden dabei festgehalten: Die Caritas im Bistum Fulda leistet umfassende Hilfe: den von Armut betroffenen Menschen wird also nicht nur materiell geholfen, sondern auch in psychosozialer Hinsicht, wobei nach dem Selbstverständnis der Caritas die geistliche Dimension als Grundlage des sozialen Handelns immer mitschwingt. Um die Situation der verarmten Bevölkerungsteile zu stabilisieren oder gar zu verbessern, wird die Caritas sich an relevanten Gremien auf politischer rund kirchlicher Ebene beteiligen, um präventiv tätig werden zu können.

Konkrete Hilfe erfolgt immer individuell auf den einzelnen Menschen und seine Situation bezogen. Alle Mitarbeiter der Caritas und der Pastoral sollen für die Armutsproblematik sensibilisiert werden. Die Caritas wird daran arbeiten, gemeinsam mit Pfarrgemeinden und anderen sozial tätigen Organisationen Netzwerke im Sozialraum zu schaffen und zu pflegen, um möglichst effiziente Hilfe leisten zu können. Zur konkreten Umsetzung der Leitsätze sollen auf einer zweiten Klausurtagung im Herbst dann konkrete Schritte für die Dienste festgelegt werden. Denkbar sind Lösungen wie die Etablierung alternativer Arbeitsbeschaffungsprojekte bei der Caritas, aber auch die Schaffung von Caritas-Cafes als niederschwelliger sozialer Treffpunkt oder die Anschaffung eines Caritas-Busses zur Beratung vor Ort nach dem Motto: Wenn die bedürftigen Menschen nicht zur Caritas kommen können, kommt die Caritas zu ihnen. Text und Foto: Christian Scharf , weitere Informationen unter http://www.sozialcourage.de +++

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