Archiv

- Fotos: Daniel Kister

Dr. Ulrich Walter ist Mit-Initiator und Vorsitzender der Akademie für Suizidprävention.

19.09.07 - Fulda

"Ehe Sie einen Suizidversuch unternehmen, rufen Sie mich an!" Mit diesem ungewöhnlichen Inserat in einer Londoner Tageszeitung hat ein Baptistenpfarrer in den 50er Jahren vermutlich mehrere Leben gerettet. Dasselbe Anliegen verfolgt auch ein Zusammenschluss niedergelassener Ärzte in der Region, die deshalb die "Akademie für Suizidprävention des Gesundheitsnetzes Osthessen" (ASGNO) gegründet haben.

Was den wenigsten bekannt ist: in Deutschland sterben jedes Jahr mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewaltverbrechen, Aids und illegale Drogen zusammen. Dabei ist noch eine hohe Dunkelziffer zu berücksichtigen, weil in offizielle Statistiken die tatsächliche Häufigkeit von Selbsttötungen oft nicht einfließt. Ein wesentlicher Risikofaktor für Suizide sind Depressionen - sie stellen weltweit eine der häufigsten psychischen Krankheiten dar. Berücksichtigt man die Schwere der Beeinträchtigung und die Dauer der Erkrankung, liegt sie vor allen anderen körperlichen und psychiatrischen Volkskrankheiten.

Obwohl heute eigentlich gute Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, erhalten - so Angaben von Fachleuten - nur etwa 10 Prozent der betroffenen Patienten eine langfristig adäquate Behandlung. Psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen, fällt vielen Menschen noch schwer. Häufig wird eine Depression nicht als Krankheit erkannt, sondern als persönliches Versagen oder Schuld empfunden. Selbst von Ärzten werden Depressionen immer noch übersehen.

Dem wollen Mediziner im Raum Fulda nun entgegenwirken. Für den Landkreis Fulda wurde ein Bündnis zur Suizidprävention und Information über Depressionen gegründet, das im Wesentlichen von niedergelassenen Ärzten getragen wird. Mit Kooperation haben sie bereits Erfahrung: das Gesundheitsnetz Osthessen (GNO) ist ein Zusammenschluss von etwa 100 niedergelassenen Ärzten aller Fachrichtungen in Osthessen in Form einer Genossenschaft. Aus diesem Kreis wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die schließlich zur Gründung des Vereins „Akademie für Suizidprävention des GNO“ (ASGNO) führte. In dessen Beirat sollen wichtige Träger der Versorgung depressiver Menschen sowie anderer Menschen in Lebenskrisen eingebunden werden.

Mit dem häufig tabuisierten Themenkomplex "Depression und Selbsttötung“ beschäftigen sich heute Abend in der Orangerie eine Reihe von Fachvorträgen, die damit auch interessierte Laien ansprechen wollen. Ziel der offiziellen Auftaktveranstaltung von Akademie und Gesundheitsnetz sind gleich zwei Punkte: einerseits die Aufklärung über das Krankheitsbild der Depression und darüber hinaus die Verhütung von Suiziden im Landkreis Fulda. "Das Thema muss enttabuisiert sowie die Versorgung depressiver Menschen und aller anderen in akuten Lebenskrisen verbessert werden", formulierte einer der Initiatoren des Netzwerks und nun 1. Vorsitzender der ASGNO, der Fuldaer Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Ulrich Walter.

Depressionen würden - gerade weil sie so ein Tabu darstellten - von sehr vielen Menschen als eine "seltene Krankheit" angesehen, obwohl dies falsch sei. "Wer seelische Erkrankungen oder Störungen hat, erscheint als Exot - obwohl diese Erkrankungen in Wirklichkeit häufig auftreten," sagte Dr. Walter gegenüber "osthessen-news". Laien könnten Depressionen bei ihren Mitmenschen etwa daran erkennen, dass diese sich zurückzögen und isolierten, Vorwände fänden, nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Sie hielten sich zurück und so merke ihre Umwelt oft nicht, dass bei ihnen das Leben von einem Grundgefühl der Sinn- und Freudlosigkeit dominiert werde.

Im Volksmund werde Suizid auch als "Freitod" bezeichnet. Laut Dr. Walter eine ganz falsche Einschätzung: "Die überwiegende Zahl der Menschen, die einen Suizid begehen wollen, ist eben nicht frei in der Entscheidung, sie befinden sich in einer extremen Zwangssituation und sind überzeugt, keinen anderen Ausweg zu finden." Hören Sie zu diesen Aspekten des Themas auch ein Interview mit Dr. Ulrich Walter. (Dazu auf den Button am Anfang des Artikels klicken)

Die Planungen der ASGNO für die Region Osthessen stützen sich auf ein Konzept, das in den Jahren 2001bis 2003 in Nürnberg umgesetzt wurde und heute bereits in zahlreichen Regionen - in Hessen zur Zeit etwa in Hanau, dem Kreis Groß-Gerau, der Stadt Darmstadt und dem Schwalm-Eder-Kreis - durchgeführt wird. In Nürnberg hat das Konzept die Versorgung deutlich verbessert - und auf diesen Erfolg hoffen auch die neugegründete Akademie und ihre Hauptkooperationspartner: das Gesundheitsnetz Osthessen e.G., die Hochschule Fulda, das Kreisgesundheitsamt, der Präventionsrat, Schulamt (alle Fulda) sowie die Klinik für Psychiatrie u Psychotherapie Fulda und die Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie Fulda.

Die Schirmherrschaft für das Projekt hat Landrat Bernd Woide übernommen. Für die Region sind für die kommenden Jahre eine Reihe von Veranstaltungen vorgesehen, mit denen die Bevölkerung über das Krankheitsbild „Depression“ informiert werden soll. Eine der Hauptbotschaften dabei: jeder Mensch kann eine behandlungsbedürftige Depression - im Sinne einer Krankheit - entwickeln. Und diese Krankheit muss nicht schamhaft verschwiegen werden, sondern sollte wie jede andere Krankheit auch bestmöglich behandelt werden.

Für diese Aufklärungskampagne würden professionell gestaltete Flyer, Plakate und Kinospots eingesetzt. Neben den eher direkten und wissensbezogenen Informationsveranstaltungen soll mit zusätzlichen Aktivitätem eine neue Form des Verständnisses und der Akzeptanz der Erkrankung erreicht werden: indem etwa gezeigt werde, dass auch berühmte und gesellschaftlich geachtete Menschen vorübergehend an Depressionen gelitten und dennoch - oder auch gerade wegen der Erfahrung der Depression - Großes vollbracht hätten.

Depression wird bei Älteren häufig übersehen

Da Depressionen bei älteren Menschen besonders häufig übersehen würden und die Suizidgefahr mit dem Alter steige, sei für die ASGNO - so deren 1. Vorsitzender Walter - die Schulung und Fortbildung von Altenpflegekräften besonders wichtig. Hier gebe es bereits konkrete Pläne für ein gemeinsames Schulungskonzept von Fachärzten für Psychiatrie aus dem Gesundheitsnetz Osthessen mit Studenten der Hochschule Fulda. Ein zweiter Schwerpunkt der Aktivitäten solle eine Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sein. In diesem Zusammenhang solle das Projekt auch nicht nur selbst Betroffene schützen, denn die „Amokläufe an Schulen“ hatten häufig den Charakter so genannter „Erweiterter Suizide“.

Folgende Aktionen sind für den Landkreis Fulda in einem Zeitraum von drei Jahren geplant:

Schulungen für Pflegekräfte zum Thema an allen Seniorenheimen im Landkreis plus ambulante Pflegedienste (Niedergelassene Psychiater in Kooperation mit Hochschule Fulda). Diese Schulungen wurden im Mai dieses Jahres im Haus Emmaus begonnen, weitere Schulungstermine in anderen Einrichtungen sind bereits vereinbart.

Vorstellung der Unterrichtsmaterialien an allen Schulen

Schulungen für:alle Hausärzte und Fachärzte im Landkreis, Seelsorger, Personalverantwortliche in Betrieben, Apotheker und Apothekenhelferinnen

Öffentliche Veranstaltungen (Podiumsdiskussionen und Vortragsveranstaltungen) zu dem Themenkomplex und Randgebieten, z.B. ethischen und juristischen Aspekten

Öffentlich Wirksames: Plakataktionen und Kinospots zur Sensibilisierung, Medienberichte, Organisation einer Kunstausstellung

Notfall-Handy für „Geschulte“

Erhebung von eigenen Daten zur Häufigkeit von Suizidversuchen im Landkreis vor und während des Projektes (statistische Auswertung durch Hochschule Fulda). (gw / ci) +++



Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön