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Der katholische Pater Klaus Gajowski, Niederaulas Bürgermeister Helmut Opfer und der evangelische Pfarrer Werner Ewald enthüllten den Gedenkstein.

Text der Gedenktafel, die am heutigen Mittwochabend enthüllt wurde. - Fotos: Hans-Hubertus Braune

05.09.07 - Niederaula

„Lassen Sie uns mit der feierlichen Einweihung des Gedenksteines zur Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde in Niederaula sowie an die Synagoge ein äußeres Zeichen der Verbindung mit unseren ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern setzen und ihrer Vertreibung und grauenhafter Vernichtung gedenken“, sagte Helmut Opfer, Bürgermeister von Niederaula (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) am heutigen Mittwochabend zu den Gästen in der Bahnhofstraße.

Auf den Tag genau 65 Jahre nach der letzten Deportation zweier jüdischer Mitbürger wurde der Gedenkstein enthüllt. Am 5. September 1942 mussten Karoline und Salomon Levi den Ort verlassen und wurden mit dem Zug zunächst nach Kassel gebracht und anschließend erlitten sie das Schicksal Konzentrationslager. Realschüler der Gesamtschule Niederaula des Jahrgangs 2003/04 entzündeten Kerzen für die Deportierten und Ermordeten Juden Niederaula, während ihr Lehrer Hartwig Kröner die Namen der ehemaligen jüdischen Einwohner nannte.

Bis zum Jahre 1933 zählte die Gemeinde Niederaula zu den größten jüdischen Gemeinden im damaligen Kreis Hersfeld. Im alten Ortskern unterhalb der evangelischen Kirche stand die Synagoge, die in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 von SA- und SS-Männern brutal demoliert wurde. Da in unmittelbarer Nähe auch Anwesen nichtjüdischer Familien standen, blieb der Synagoge jedoch das drohende Feuer erspart. Trotzdem wurde die Thorarolle aus dem Schrein gerissen und auf die Straße geworfen. Fensterscheiben klirrten, die Inneneinrichtung wurde verwüstet und der Kronleuchter heruntergerissen. So berichtete Hugo Apt nach den Erzählungen seines Cousins Max Apt, die in der Niederaulaer Chronik festgehalten wurden.

Mit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler hatten es auch die Juden in Niederaula immer schwerer. Die Boykottaufrufe hatten für die jüdischen Geschäftsleute massive Umsatzeinbußen zur Folge. Wer konnte, wanderte aus. Bei einer Volkszählung am 16. Juni 1933 waren in Niederaula nur noch 76 Juden gemeldet. Trotz der widrigen Umstände gab es bis 1938 noch elf jüdische Geschäfts- und Handelsleute in Niederaula.

Heidi Rößing aus Niederaula hat die dramatische Geschichte der Juden speziell in Niederaula in der Chronik beleuchtet und berichtet auch von der Familie Samuel Oppenheim. Manfred Oppenheim wird dort zu seinen Erlebnissen in der Pogromnacht mit folgenden Worten zitiert: „Auch bei uns drang nachts eine Horde Nazis ein... Unter groben Beschimpfungen und Drohungen durchwühlten sie die ganze Wohnung und zerstörten wahllos. Auf meinen Großvater, er war 86 Jahre alt und wollte die Randalierer abwehren, schlugen sie hart ein.… Die Familie wurde in die Speisekammer eingesperrt und meine Schwester von einem Österreicher vergewaltigt…Meinen Vater haben sie verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar geschafft“. Nach sechs Wochen wurden Samuel Oppenheim und der ebenfalls aus Niederaula stammende Benjamin Apt zwar wieder freigelassen, doch sie kehrten aschfahl und krank nach dem erlittenen Martyrium zurück.

Manfred Oppenheim und sein Bruder Rudi konnten Nazi-Deutschland rechtzeitig verlassen. Als junge Burschen kamen sie nach Israel. „Es war eine bittere Erfahrung, als wir nach dem Krieg erkennen mussten, dass all unsere Nachforschungen über unsere Eltern und Schwestern in Vernichtungslagern endeten“, wird Oppenheim später zitiert. „Die Brüder Oppenheim sind meines Wissens die einzigen heute noch lebenden ehemaligen jüdischen Mitbürger von Niederaula. Sie leben heute in Israel“, sagte Rößing gegenüber osthessen-news.

Das Schicksal der Familie Oppenheim spiegelt das Leiden vieler jüdischer Familien wider. Mit der Errichtung eines Gedenkstein in unmittelbarer Nähe der alten Synagoge, die bis 1973 noch stand, soll an die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie ihrem Leben in Niederaula erinnert werden. Die Synagoge diente während des dritten Reichs als Unterkunft für Kriegsgefangene, später als einfache Wohnungen und als Räumlichkeiten für die katholische Kirche.

Neben dem Bürgermeister gedachten auch der evangelische Pfarrer Werner Ewald und sein katholischer Kollege Klaus Gajowski der ehemaligen jüdischen Gemeinde. Unter den Gästen waren auch der waldhessische Bundestagsabgeordnete Michael Roth (SPD) und der SPD-Landtagskandidat Torsten Warneke. Der jüdische Chor aus Fulda umrahmte die Gedenkfeier. Bereits seit mehreren Jahren bemühen sich die Niederaulaer um eine geeignete Gedenkstätte. „Schon in den achtziger Jahren gab es in Niederaula Bestrebungen der Juden, der ehemaligen Synagoge und im Besonderen der systematischen Vernichtung der Niederaulaer Juden durch die Nazis zu gedenken. So wird, wie es der frühere Evangelische Pfarrer Karl-Werner Brauer in einem Brief an den Gemeindevorstand zum Ausdruck gebracht hat, seit dem Jahr 1978 im Rahmen einer biblischen Besinnung in der Kirche und anschließendem Gebet auf dem jüdischen Friedhof der früheren Niederaulaer Mitbürger gedacht“, sagte Helmut Opfer, der letztlich die Umsetzung in Gang brachte.

Realschüler des Schuljahrs 2003/04 der Gesamtschule Niederaula mit ihrem damaligen Lehrer Hartwig Kröner beschäftigten sich mit der Geschichte und erarbeiteten Textvorschläge für die Tafel; sie waren heute auch bei der Gedenkfeier dabei. (Hans-Hubertus Braune) +++


Die Synagoge in der Bahnhofsstraße (Haus am linken Bildrand vor der Kirche).

Die ehemalige Synagoge aus der Zeit, als sie als Wohnung genutzt wurde, links daneben das jüdische Lehrerwohnhaus.


Schüler der ehemaligen R 9a der Gesamtschule Niederaula ....

... entzündeten Kerzen für die Deportierten und Ermordeten Juden Niederaulas.



Lehrer Hartwig Kröner beschäftigte sich mit seinen Realschüler des Jahrgangs 2003/2004 mit der örtlichen Geschichte.


Werner Ewald bei seiner Ansprache.

Viele Bürger aus Niederaula und Jugendliche gedachten der ehemaligen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger.


Der Chor der jüdischen Gemeinde Fulda sang zur Einweihung.

Der Gedenkstein an der Bahnhofstraße neben dem Parkplatz erinnert an die ehemalige jüdische Gemeinde.

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