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- Fotos: Daniel Kister

03.08.07 - Fulda

Schon zu Beginn der 6. Sommerakademie des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac auf dem Campus der Hochschule Fulda unter dem Motto "Das wird Folgen haben" wurde zweierlei deutlich: die Aktivitäten rund um den G 8-Gipfel im Juni haben die Diskussion in Deutschland um die Folgen von internationaler Globalisierung verstärkt sowie der Bewegung einen Mitgliederaufschwung gebracht. 1.800 neue Mitglieder zählt Attac inzwischen. Und obwohl die vielen tausend Aktivisten des Netzwerks durch die Vorbereitung der "Gipfel-Proteste" viel Einsatz geleistet haben, werden auch Herbst und Winter angesichts der anzupackenden Problemfelder keine Zeit zum Ausruhen. Denn für die kommenden Monate hat sich die Vereinigung, der inzwischen 18.000 Einzelmitglieder - und darunter 150 Organisationen von verdi über Pax Christi bis zu 3. Welt-Initiativen angehören - die Fortsetzung des Engagements in Sachen "Bahn für alle" gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn AG sowie die Beschäftigung mit dem Themenschwerpunkt Energiekonzerne, Re-Demokratisierung der Wirtschaft und Welthandel vorgenommen.

Bei den ersten beiden Foren am gestrigen Donnerstag herrschte laut attac-Sprecherin Frauke Distelrath große Einigkeit darüber, dass die Mobilisierung für den G 8 Gipfel und die Proteste selbst - gemessen an der Präsenz der Medien - ein großer Erfolg waren. Es sei noch nie so viel über Globalisierungskritik berichtet und gesprochen worden in Deutschland wie in den vergangenen Wochen. Aber auch kritische Stimmen zu dem Erfolg wurden zum Start der Veranstaltung geäußert: ob sich dadurch eine Verschiebung in der Wahrnehmung der Probleme durch globale Entscheidungen von Politik und Wirtschaft ergebe, wurde von Forenteilnehmern bezweifelt.

Einig waren sich die Frauen und Männer aus ganz Deutschland in der Einschätzung, dass der Gipfel delegitimiert wurde. "Selbst die Financial Times hat ja die Titelzeile >G 8 erwägen Rettung der Welt< gebracht - und auch im Inland ist deutlich geworden: das war nicht mehr als heiße Luft", sagte die Pressesprecherin des attac Bundesbüros in Frankfurt/Main, Frauke Distelrath.

Der Mitgliederaufschwung werde positiv beurteilt: "Schließlich hat ja der Beitritt zu Attac irgendwie Bekenntnischarakter", meinte die Sprecherin. Allerdings stelle sich - auch durch Erfahrungen bei den Gipfel-Aktionen zunehmend die Frage, ob Attac "Platzhalterfunktion" für die gesamte globalisierungskritische Bewegung in Deutschland übernehmen könne und wolle. Auch wen einzeln befragte Menschen repräsentierten, ob und wie Personen für Attac als Gesamtorgansiation sprechen sollten, müsse diskutiert werden.

Viel Energie will die Vereinigung in das Thema Privatisierung der Bahn stecken und dabei gleich auch andere Bereiche, über deren Privatisierung in Politik und Wirtschaft immer wieder geredet werde, einbeziehen: "Wir wollen eine Verschiebung privatisierungsfreundlicher Positionen in Politik und Gesellschaft erreichen. Wir sind der Ansicht, dass bestimmte Güter - etwa Wasserversorgung, Infrastruktur wie umweltfreundliche Verkehrsmittel oder Bildung - nicht privatisiert werden dürfen, damit diese lebenswichtigen Bereiche für ein Land nicht dem Profitkalkül von Privatunternehmen oder Aktionären unterworfen werden", erklärte Distelrath die Position von Attac.

Wichtig sei auch die künftige Auseinandersetzung mit den Strukturen der vier großen Energiekonzerne EON, ENBW, Vattenfall und RWE. Dabei komme es Attac nicht auf eine Verstaatlichung, sondern eine stärkere öffentliche, demokratische Kontrolle dieser Unternehmen an. Die Frage einer Redemokratisierung der Wirtschaft ziele darauf ab, welchen Einfluss Unternehmen auf Politik nähmen und wie man mehr und transparentere demokratische Mitbestimmung in der Wirtschaft erreichen könne. Und unter dem Motto "Stopp EPAs" werde sich Attac verstärkt mit dem Freihandelsabkommen der Europäischen Union und den Wirtschaftszonen Afrikas befassen.

Gestern Abend fand eine große Podiumsdiskussion unter dem Motto "Alternativen zum Neoliberalismus - Perspektiven für Attac" statt, an der Dr. Heiner Geißler (Ex-Generalsekretär der CDU und Neumitglied bei Attac), Pedram Shahyar (Koordinierungskreis Attac), Nele Hirsch (Bundestagsabgeordnete "Die Linke" in Thüringen) und Martina Wasserlos-Strunk (Reformierter Bund) teilnahmen.

Der 77-jährige Dr. Heiner Geißler, Katholik, Bestsellerautor, Gleitschirmflieger und Bergsteiger, gefragter Gast in Politik-Talks, "gelernter Jurist" und renommierter Querdenker seiner Partei war viele Jahre lang für die CDU in hohen Positionen (darunter: 1977 - 89 CDU-Generalsekretär, 1982-85 Bundesminister für Jugend, Familie, Gesundheit) und insgesamt 24 Jahre für die Bürger als Bundestagsabgeordneter tätig. Im Mai dieses Jahres trat er als Einzelmitglied in das Netzwerk Attac ein.

"Globalisierung an sich ist nicht schlecht - aber sie vollzieht sich ohne Regeln, da ist eine Reform dringend nötig", sagte Dr. Heiner Geißler in einem Exklusiv-Interview, der er unserem Redaktionsmitglied Daniel Kister vor Beginn der Podiumsdiskussion gab. Eigentlich müsse Politik die Wirtschaft kontrollieren und auch Vorgaben machen - doch in der Realtität sei Politik lediglich national aufgestellt, während Wirtschaft und Verbände weltweit agierten. Deshalb vergrößere sich durch die heutige, sozusagen praktisch angewandte, Globalisierung die Kluft zwischen Arm und Reich. Der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen, werde aber von vielen Wirtschaftsverantwortlichen nur noch als Kostenfaktor gesehen: "Das darf Politik nicht zulassen". Nach Ansicht von Geißler sei jedoch der Neoliberalismus "auf dem Rückzug", immer mehr Menschen lehnten die Ökonomisierung der Gesellschaft ab und Vereinigungen wie Attac seien enorm wichtig, um Alternativen aufzeigen: "...damit die Menschen Hoffnung haben".

Wenn Sie Dr. Heiner Geißler zu "unsittlichen Systemen", dem fehlenden Mut von Parteien und einer konkreten Alternative zu den Auswüchsen der Global Player hören wollen, dann klicken Sie den Button ganz oben, am Anfang des Artikels, an.

Die bundesweite Sommerakademie - Treffpunkt, Diskussionsforum, zentrale Bildungsveranstaltung und Planungsgremium zugleich - hatte am Mittwoch mit einem Abend zum Kennenlernen, einer Dia-Show als Rückblick auf die Protestaktivitäten vor und während des G 8-Gipfels sowie Musik begonnen. Bis zum Samstag einschließlich beschäftigen sich die - über 500 erwarteten - Teilnehmer aus ganz Deutschland in 50 Vormittagsseminaren, 90 Workshops und 15 großen Podiumsdiskussionen mit zahlreichen Einzelthemen mit Ursachen, Auswirkungen und Alternativen zur Globalisierung. Dazu gehören unterschiedlichste Veranstaltungen: von "Wem gehört die Welt? Anatomie des Systems" über "Kaufboykotte oder Kaufempfehlungen als globalisierungskritische Aktionsformen" und ""Lobbyismus in Brüssel und Klimapolitik" oder "Osteuropa vor dem Kollaps" bis zu "Die Berater - Wie Wirtschaftsprüfer, Privatbanken und Leihmanager Parteien und Staat verändern".

Bestandteil der Sommerakademie sind auch vielfältige Kulturveranstaltungen: zu der breiten Palette zählen Filmvorführungen während der Akademie, Live-Konzerte der Bands Rehfuss oder Taschenplanet am Samstag in Halle 8, eine Allen Ginsberg Lesung und Free Groovy Jazz am heutigen Freitagabend (Gebäude E, Raum 109) sowie eine Aufführung der Berliner Compagnie in Halle 8 ab 20:30 Uhr. Eintrittskarten für das Stück "Tango Mortal del Peso", ein Resümee aus 25 Jahren neoliberaler Politik am Beispiel von Argentinien, kosten 10 Euro. Informationen über die Akademieveranstaltungen und die Kulturangebote findet man auf der Internetseite http://www.attac.de/sommerakademie2007/

Die Teilnehmer - wenn sie nicht private Unterkünfte nutzen - wurden in der Turnhalle der Marquard-Schule oder in der BGS-Turnhalle in Richtung Lehnzer untergebracht oder können auf einem Platz in der Nähe der BGS-Turnhalle zelten. Zu allen Veranstaltungen können Interessierte aus der Region dazukommen und dafür Tageskarten für 5 Euro erwerben. Anmeldung und Information gibt es in der Halle 8 im Gebäude H der Hochschule Fulda.

Zu Ende geht die 6. Sommerakademie in Fulda am Sonntag mit dem "Ratschlagsplenum", einer Art "Bundesvollversammlung" von Attac. Dies ist zwar das höchste Beratungs- und Entscheidungsgremium des Netzwerks - aber trotzdem - so Frauke Distelrath - "offen für jeden, der sich zugehörig fühlt". (gw) +++





"Der Mensch wird im Rahmen der Globalisierung zu einem Kostenfaktor reduziert", sagt der CDU-Politiker Heiner Geißler.


Er fordert eine internationale öko-soziale Marktwirtschaft.
















"Querdenker" Heiner Geißler

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