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14.03.04 - Fulda

CDU-Doku (1)

Positionspapier des CDU-Stadtverbandes Fulda

zu den Diskussionen und Behauptungen, die der Rede von Martin Hohmann MdB vom 3. Oktober 2003 in Neuhof zu dem Stichwort "Tätervolk" und dem politischen Verhalten der Menschen in Fulda und im Fuldaer Land folgten.

Ausgangslage

Es gab und gibt keinen konkreten Anlaß, den Begriff "Tätervolk" überhaupt zu verwenden. Denn abgesehen von einem in diesem Punkt als extrem einzustufenden amerikanischen Autor wird dieser Begriff seit Jahrzehnten von keinem ernstzunehmenden Historiker oder Politiker verwendet, auch nicht gegen das deutsche Volk. Dennoch schien es Martin Hohmann, aus welchen Gründen auch immer, bei seiner Rede in Neuhof angezeigt, diesen irreführenden, falschen Begriff - es gibt keine Kollektivschuld - zu verwenden, wenn auch nur, um darauf hinzuweisen, daß es eigentlich kein "Tätervolk" geben könne, wenn aber doch, dann seien es die Deutschen nicht mehr als beispielsweise die Juden.

Somit ist festzustellen:

1. Martin Hohmann hat nicht gesagt, wie immer wieder verkürzt und von einem Teil der

Medien falsch behauptet wurde, die Juden seien ein Tätervolk.

2. Das, was Martin Hohmann gesagt hat, erfüllt unmittelbar keinen strafrechtlich zu

verfolgenden Tatbestand, was durch die inzwischen gefällte Entscheidung der

Staatsanwaltschaft, die die eingegangenen Anzeigen nicht weiter verfolgen will, auch als

bestätigt gelten kann.

3. Mit der falschen Behauptung über das, was Martin Hohmann gesagt haben soll, und

mit dem nach aller Erfahrung von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch, die

Problematik auf die juristische Eben zu verlagern, ist vom eigentlichen und wesentlichen

Kern der Sache abgelenkt worden.

4. Der Vorgang ist vor dem Hintergrund unserer tragischen Geschichte politisch und moralisch zu beurteilen.

Was ist Martin Hohmann vorzuwerfen?

1. Martin Hohmann hat in kaum nachvollziehbarer und schon gar nicht zu entschuldigender

Weise übersehen, daß an ein Mitglied des Deutschen Bundestages bei politischen Reden

hohe Anforderungen gestellt werden, erst recht dann, wenn es sich nicht um eine spontane

Wortmeldung, sondern um eine ausgearbeitete Rede zu brisanter Thematik handelt. Er hat

die möglichen Folgen seiner Rede offensichtlich völlig falsch eingeschätzt. Dies ist der

erste zentrale Vorwurf, den man ihm machen muß.

2. Gewollt oder ungewollt, Martin Hohmann hat es mit seinen Formulierungen zugelassen,

daß andere die Schlußfolgerung ziehen, er habe zumindest andeuten wollen, deutsche und

jüdische Täter seien gegebenenfalls sowohl quantitativ als auch qualitativ auf die gleiche

Stufe zu stellen. Daß seine Aussagen in Verbindung mit den von ihm zitierten historischen

Beispielen, die in einem ganz anderen Kontext zu sehen und zu bewerten sind, zwingend

zu derart höchst bedauerlichen und fatalen Trugschlüssen führen, ist der zweite zentrale

Vorwurf, der Martin Hohmann zu machen ist. Er hat sich dadurch selbst in eine Ecke

manövriert, in die er im Zweifel nicht gehört. Nur diesem Umstand ist es zuzuschreiben,

daß nicht wenige in dieser Debatte Partei für Martin Hohmann ergreifen: Sie teilen in

diesem Punkt nicht die von ihm geäußerte Auffassung, ganz im Gegenteil, aber sie

verteidigen den Menschen Martin Hohmann, den sie anders kennen gelernt haben.

3. Der Holocaust, die von Deutschen konsequent, plan- und industriemäßig organisierte

Vernichtung des jüdischen Volkes in Europa, ist so außergewöhnlich, widerspricht so total

dem christlichen Menschenbild, ist so einmalig in der Geschichte und liegt so sehr jenseits

aller menschlicher Vorstellungskraft, daß sich jeder Vergleich schon im Ansatz verbietet.

Insofern sind und bleiben wir als deutsches Volk heute und in Zukunft verpflichtet, in ganz

besonderem Maße Mitverantwortung für das "nie wieder" zu tragen. Das hätte Martin

Hohmann zweifelsfrei zum Ausdruck bringen müssen. Daß er es nicht getan hat, ist der

dritte zentrale Vorwurf, den man ihm machen muß, denn damit hat er Spekulationen,

Verdächtigungen und Pauschalurteilen Tür und Tor geöffnet. Die Schuld an diesen

verheerenden Folgen tragen nicht die Medien, sondern allein er selbst.

4. Martin Hohmann hat es bis in diese Tage verabsäumt, sich von seiner rein formalistischen

Beurteilung dessen, was er wortwörtlich gesagt oder gemeint hat, zu verabschieden und die

politisch-moralische Dimension seiner Rede zu sehen und ihr gerecht zu werden. Er hat,

vordergründig betrachtet, gewiß ein Tabu gebrochen, aber tiefer und weiter blickend hat er

eine unglückselige, fragwürdige und latent antisemitische Rede gehalten. Daß er das nicht

einsieht und sich davon nicht eindeutig distanziert, ist der vierte zentrale Vorwurf, der

leider erhoben werden muß

Was sich aus Martin Hohmanns Rede entwickelt hat, wird auch darin deutlich, daß das Wort "Tätervolk" zum "Unwort des Jahres 2003" erklärt worden ist. "DIE WELT", eine wahrlich objektive und seriöse Zeitung, schreibt dazu am 21. Januar 2004:

"Es gibt Wörter, die niemals in redlich-aufklärerischer Absicht verwendet werden können, weil ihnen die Irreführung als propagandistisches Programm von vorneherein eingeschrieben ist. Sie sind immer falsch und nicht erst durch schlechten Gebrauch falsch geworden. "Tätervolk" ist ein solches Wort. Inzwischen ist das Wort zum "Unwort des Jahres" erklärt worden. Damit hat die Jury ein sprachpflegerisches Exempel statuiert, an dem es nichts zu deuteln gibt. Es gibt keinen Kontext, der das Wort legitimieren oder ihm eine Bedeutung mit Erkenntniswert geben könnte".

Was sind die Folgen?

Vieles, was im Nachhinein zu dieser Rede klärend gesagt und an Betroffenheit zum Ausdruck gebracht wurde, war im besten Sinne heilsam, hilfreich und weiterführend. Aber es gab leider auch nicht konsequent zu Ende gedachte, spontane Reaktionen, erhitzt geführte Diskussionen und schließlich sogar historisch unhaltbare Behauptungen. Daß der Bundestagabgeordnete Martin Hohmann dies alles nicht bedacht, diese Gefahr nicht gesehen hat, ist kaum zu begreifen. Er hätte wissen müssen, daß die Rede eines Bundestagsangeordneten auch als das Meinungsbild einer ganzen Fraktion oder Partei vereinnahmt werden könnte, und er hätte zumindest damit rechnen müssen, daß seinen falschen pauschalen Schlußfolgerungen dann auch falsche Pauschalurteile zum Schaden des Ganzen folgen werden. Am Schluß war der Schaden auf allen Seiten groß, so u.a. auch

- für das Zusammenleben von Christen und Juden in Fulda,

- für das ungestörte und sichere Leben der jüdischen Kultusgemeinde Fulda,

- für die Verständigung und allmähliche Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden,

- für den ehrlichen-konstruktiven christlich-jüdischen Dialog,

- für die faire Einschätzung der israelisch-palästinensischen Problematik und

- für das weltweite Image von Fulda und des Fuldaer Landes.

Wir stellen für den CDU-Stadtverband Fulda fest, daß wir das zutiefst bedauern. Wir wissen um die Einmaligkeit des Holocaust, wir stellen uns der Verantwortung, die uns auch als Partei daraus erwächst, und wir möchten gerade unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern hier in Fulda zeigen, daß heute in Deutschland und damit natürlich auch in unserer christlich geprägten Stadt Fulda Menschen leben, die das tragischste und für die Juden schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte nicht verdrängen, sondern sehr wohl wissen, daß Erinnern der Schlüssel zu erlösender Versöhnung ist. Wir sehen unsere Verantwortung, und wir haben ihr auch durch schlüssiges Handeln über Jahrzehnte hinweg zu entsprechen versucht. Eine Dokumentation dessen, was die Stadt Fulda, in dieser Hinsicht während der letzten Jahrzehnte getan hat, beweist sowohl dies als auch das, daß man in Fulda nicht erst durch die Rede von Martin Hohmann darauf aufmerksam geworden ist, daß es hier wieder eine jüdische Gemeinde gibt (siehe Anlage 1).

Aber gerade weil unser Handeln einerseits vom Geist der Versöhnung und Mitmenschlichkeit, und andererseits vom Bekenntnis zur historischen Wahrheit geprägt ist, deshalb wehren wir uns auch gegen pauschale Vorwürfe und unhaltbare Behauptungen, die von einem Teil der Medien und interessierten Kreisen in diesem Fall wieder einmal erhoben worden sind. Vielfältige Reaktionen aus dem In- und Ausland, insbesondere aus Amerika und Israel, zeigen, daß das eine ganze Region in den Verdacht gebracht hat, in Fulda und im Fuldaer Land lebe man gewissermaßen in der rechten politischen Ecke, habe womöglich sogar eine besonders ausgeprägte "braune Vergangenheit". Das ist ungeheuerlich, leider aber nicht ganz neu. Doch die unsinnige Wiederholung macht Falsches nicht richtiger, nährt jedoch Vorurteile, die, so sie denn in einigen Köpfen existieren, gerade abgebaut werden sollten. Die Einstellung der Menschen dieser Gegend, also der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Fulda und des Fuldaer Landes, ist weder antisemitistisch noch rechtslastig. Die Menschen hier sind christlich, tolerant und damit an den Werten orientiert, die Fulda über Jahrhunderte geprägt haben, sie sind in zunehmendem Maße weltoffen und verfallen nicht leicht extremen Parolen. Die historischen Fakten belegen das eindrucksvoll.

Die Mehrheit der Fuldaer schwamm schon in der Endphase der Weimarer Republik nicht auf der Woge nationalsozialistischer Ideologie, und das änderte sich auch nicht, als Terror und Gewalt bei den letzten freien Reichstags-Wahlen am Beginn des Dritten Reiches zu massiven Einschüchterungen führten. Am 5. März 1933 bekam das "Zentrum" im Stadtkreis Fulda 51% der Stimmen, während es Hitlers NSDAP nur auf 27% brachte. Noch deutlich besser war das Ergebnis bei der gleichzeitig durchgeführten Kommunalwahl; das Zentrum bekam 59,4% und die NSDAP nur 25% der Stimmen. Wäre in ganz Deutschland so wie in Fulda gewählt worden, Hitler hätte niemals an die Macht kommen können (siehe Anlage 2).

Die Christlich Demokratische Union (CDU) verdankt ihr Existenz in hohem Maße Frauen und Männern, die als katholische und evangelische Christen in der Zeit der NS- Diktatur am eigenen Leib Verfolgung und Terror erlebt haben und deshalb in den Widerstand gingen. Die Gründer der Partei traten ein für Freiheit, Toleranz und Menschrechte, es war ihr großes Anliegen, nach der Schreckenszeit des Nationalsozialismus, die so viel Unheil in die Welt gebracht hat, ein neues, ein besseres Deutschland aufzubauen, und sie wollten den Beweis antreten, daß die 12 Jahre Hitler nicht alles zerstört haben, was der christlicher Geist und die abendländische Kultur in den Jahrhunderten davor in Deutschland grundgelegt hatten. Diesem Geist weiß sich die Fuldaer CDU von allem Anfang an verpflichtet, und das wird auch trotz bedauerlicher Ausfälle im Einzelfall und unbegründeter Vorwürfe, von wem auch immer, in Zukunft so bleiben.

Fulda, den 10. Februar 2004

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