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03.11.08 - REGION

Von Entsetzen bis Erleichterung reichen die Reaktionen in der Region Osthessen auf das heutige Scheitern der geplanten Regierungsübernahme in Hessen durch eine rot-grüne Minderheitskoalition, die von den Linken geduldet worden wäre. Je nach eigenem politischen Standort werden die drei SPD-Abgeordneten, die heute bekannt gaben, Andrea Ypsilanti morgen nicht wählen zu wollen, als Abtrünnige oder als Mutige bezeichnet.

Und da die Überraschung - so kurz vor dem angestrebten Ziel von SPD und Grünen sowie sicher auch der Linken - so groß war, gibt es noch kaum Vorschläge für ein "Wie gehts weiter?". Lediglich der FDP-Landtagsabgeordnete Jürgen Lenders (Fulda) vertrat konkret die Meinung, wenn es nicht zu einer "Jamaika-Konstellation" (CDU, Grüne, FDP) komme, seien Neuwahlen die demokratisch beste Lösung. Der stellvertretende SPD-Stadtverbandsvorsitzende Hans-Joachim Tritschler fordert von den 3 "Abweichlern" die Rückgabe ihrer Landtagsmandate. Eine Haltung, die mehrere politische Beobachter in Osthessen nur hinter vorgehaltener Hand voraussagen: bevor es zu einer Lösung der Situation kommen kann, wird es wohl erst mal um eine "Strafe" für die drei Abgeordneten Walter, Tesch und Everts gehen. (gw)

Dr. Karl-Ernst Schmidt (CDU), Landrat des Kreises Hersfeld-Rotenburg

Der Landrat des Kreises Hersfeld-Rotenburg, Dr. Karl-Ernst Schmidt, sagte heute am Rande der Grundsteinlegung für das neue Amazon-Zentrum, er sei "nicht unglücklich" über die Entwicklung. Sein Grund: die befürchteten negativen Auswirkungen für Nordhessen durch die geplante Politik einer rot-grünen, von den Linken geduldeten, Minderheitsregierung. Die A 44 wäre nicht gebaut oder jedenfalls nicht so rasch wie nötig gebaut worden und der Kreis Hersfeld-Rotenburg warte für seinen Norden dringend auf diese Anbindung. Aber auch andere wirtschaftspolitische Punkte wären sehr in Frage gestellt gewesen.

Sehen Sie dazu auch das Video mit der Stellungnahme von Landrat Schmidt - klicken Sie dazu oben den Button.

SPD-Unterbezirk Fulda, Unterbezirksvorsitzender Peter Jennemann

"Der SPD-Unterbezirk Fulda ist enttäuscht, dass es nicht gelungen ist, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Der SPD Landesvorstand und die SPD Fraktion in Hessen haben die Verantwortung für diese Situation zu tragen, weil beide Gremien es nicht verstanden haben, die verschiedenen Standpunkte zusammen zu führen.

Der Zeitpunkt der tatsächlichen Festlegung von Jürgen Walter, Silke Tesch und Dr. Carmen Everts ist zu kritisieren, weil den handelnden Personen eine gestaltete Reaktion versagt wurde.

Nach einem internen Klärungsprozess gilt es vor allen, die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zurück zu gewinnen."

Margaretha Hölldobler-Heumüller, Landtagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen für Fulda, u.a. Sprecherin ihrer Fraktion für Wirtschafts- und Mittelstandspolitik, Mitglied im Aussschuss für Wirtschaft und Verkehr:

"Ich bin fassungslos über die plötzliche Neupositionierung der drei SPD-Abweichler. Für die Grünen im Landtag habe ich in der Fachverhandlungsgruppe Wirtschaft mit der SPD über den Koalitionsvertrag verhandelt. Und dabei habe ich mich über das fundamentale Desinteresse Jürgen Walters gewundert, der sich thematisch nicht eingesetzt hat und an einem Verhandlungstag überhaupt nicht erschienen ist. Schon da haben mich erhebliche Zweifel beschlichen.

Ich habe grundsätzlich großen Respekt vor persönlichen Beweggründen jedes Abgeordneten. Aber was eine Gewissensentscheidung zwischen dem SPD-Parteitag am Samstag - als alle drei Abweichler noch zugesagt haben, Andrea Ypsilanti zu wählen - und dem heutigen Tag noch so beeinflusst haben soll, ist mir ein großes Rätsel. Wenn Jürgen Walter, Carmen Everts und Silke Tesch tatsächlich so unsicher und zerrissen waren, wären sie verpflichtet gewesen, diesen Prozess auch in ihre Fraktion zu tragen - und zwar frühzeitig."

SPD-Stadtverband Fulda, stellvertretender Stadtverbandsvorsitzender Hans-Joachim Tritschler

"Der Vorstand des SPD-Stadtverbandes Fulda ist enttäuscht und zornig über die Geschehnisse des heutigen Tages. Die drei Abgeordneten, die mit ihrer heutigen Erklärung der Landespartei die Gefolgschaft verweigerten, haben die hessische SPD damit in eine tiefe und möglicherweise lang anhaltende Katastrophe gestürzt.

Wenn man sich am Ende eines langen Prozesse auf sein Gewissen beruft und erklärt, man könne den Weg nicht mitgehen, so klingt das absolut unglaubwürdig. Es hätte viele Gelegenheiten gegeben, zu erklären, dass man den Weg einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung der LINKEN nicht will. Das Warten bis zum Ende des Prozesses habe nur der Partei den größtmöglichen Schaden zugefügt.

Mit der Ablehnung der Wahl von Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin zum jetzigen Zeitpunkt haben die drei Landtagsabgeordneten ein merkwürdiges Demokratieverständnis offenbart. Der von der Landesvorsitzenden gewählte parteiinterne Meinungsbildungsprozess ist offen und fair gewesen. Die überwältigende Mehrheit der hessischen SPD hatte erklärt, diesen Weg mitzugehen. Letztendlich hatte der Landesparteitag vom Samstag mit 95 % den Koalitionsvertrag abgesegnet.

Umso unverständlicher ist das Verhalten der Abtrünnigen. Wer nicht bereit ist, dieses überzeugende Ergebnis mit zu tragen und gemeinsam nach außen zu vertreten, soll - und das fordere ich - sein Landtagsmandat aufgeben."

Jürgen Lenders, Landtagsabgeordneter der FDP für Fulda

"Ich habe Respekt vor der Entscheidung, die die drei Kollegen getroffen haben - und kann mir vorstellen, in welcher Entscheidungslage sie sich befanden und dass es ihnen nicht leichtgefallen ist. Ich hätte nie gedacht, dass es so kommt - aber das war die logische Konsequenz aus den wirtschaftspolitischen Inhalten des Koalitionsvertrages, die von den drei Abgeordneten sehr kritisch beurteilt wurden. Die geplante Zerschlagung des Wirtschaftsministeriums und eine Trennung von Wirtschaft und Verkehr wäre ein Kardinalfehler gewesen. Der Landesparteitag in Fulda hätte die Möglichkeit gehabt, hier zu korrigieren - das kam aber nicht.

Wenn es jetzt heißt, diese Entscheidung kam kurzfristig, meine ich: das Zeitfenster war eng und diese Taktung hat Frau Ypsilanti vorgegeben. Übigens sollte man jetzt keine Meuchel-Legende stricken: die 3 Abgeordneten haben ihre Ablehnung ja sogar noch vor der Probeabstimmung bekannt gegeben. Wenn sie hätten meucheln wollen, dann wäre es für sie morgen in der Wahlkabine viel einfacher gewesen. Niemand hätte das ihnen nachweisen können und Ypsilanti wäre in Wiesbaden aufs Parkett gesunken und hätte "die Simonis gemacht". Andererseits: wenn sich politische Kräfte in Wiesbaden nun vorstellen, diese 3 - oder mit Frau Metzger 4 - ins bürgerliche Lager ziehen zu können, das wäre naiv. Sie werden deswegen nicht die Fronten wechseln.

Wie geht es nun weiter? Ich denke, die FDP wird tun, was sie vorher schon gesagt hat und an Gesprächen mit CDU und Grünen über ein "Jamaika-Bündnis" teilnehmen. Es ist aber zu befürchten, dass sich die Grünen in den Koalitionsvereinbarungen mit der SPD inhaltlich zu stark festgelegt haben. Konsequent wären meiner Ansicht nach - auch wenn es dann passieren könnte, dass ich persönlich mein Mandat verliere - Neuwahlen. Wenn die Situation zu verfahren ist, muss dem Wähler das Mandat zurückgegeben werden. Und was die SPD-Kollegen betrifft: es würde mich sehr wundern, wenn aus der Sozialdemokratie nicht der Antrag auf ein Parteiausschlussverfahren käme. +++

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