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- Fotos: Friedrich

Ein historisches Foto: Der Polizeiüberfall am 19. Mai 1978 im kleinen Ermershausen.

19.05.08 - RHÖN

"Wie im Krieg" - Erinnerung an Polizeiüberfall in Ermershausen vom 19. 05. 1978

ERMERSHAUSEN. Mehr als 200 Polizeibeamte haben am 19. Mai 1978 das Hassbergdorf Ermershausen morgens kurz nach 4 Uhr regelrecht überfallen und gemeindliche Akten aus dem Rathaus geholt und nach Maroldsweisach gebracht. Angeblich sollen in dieser Nacht über 1.500 Polizeibeamten im Einsatz gewesen sein. Ermershausen hatte sich damals gegen die im Rahmen der Gebietsreform verordneten Zwangseingemeindung nach Maroldsweisach gewehrt. Man wollte mit den Ortsteilen Birkenfeld und Dippach zusammengehen und hatte dafür alle Voraussetzungen geschaffen, sagt der damalige Bürgermeister Adolf Höhn. Damit die gemeindlichen Akten nicht aus dem Rathaus geholt werden konnten, versiegelten die Bürger 1978 ihr Rathaus und gossen die Schlüssellöcher mit Blei zu. Heute erinnern Freiheitsglocke und ein Gedenkstein am Rathaus an den Vorfall vor nunmehr 30 Jahren.

"Wie im Krieg"

Wichtiger als die Erinnerung an den Polizeiüberfall 1978 ist in Ermershausen aber das Jahr 1994, als nach 16 Jahren "Freiheits-Kampf“ Ermershausen aus der "Zwangsehe“ mit Maroldsweisach entlassen wurde. Für Ermershausens derzeitigen Bürgermeister Werner Döhler ist deshalb nicht der 19. Mai sondern der 1. Januar 1994 das wichtigste Datum für Ermershausen. Deshalb ist der 19. Mai heute auch ein ganz normaler Tag, an dem nicht gefeiert wurde. An die Morgenstunden des 19. Mai erinnern sich heute noch viele Ermershäuser. Eine 15-Jährige, die im Elternhaus direkt an der Hauptstraße wohnte, wurde durch das Marschieren der etwa 200 Polizeibeamten aus dem Schlaf gerissen. "Es war furchtbar, wie im Krieg, denn alle waren mit diesen Schutzhelmen und Schilden bewaffnet,“ erzählt die heute 45-Jährige. "Ein schlimmer Tag,“ weiß ein anderer Ermershäuser, der erzählt, dass die Straße schwarz voller Polizisten war, die niemanden vorbei gelassen haben.

Widerstand gegen Gemeindegebietreform

Eine junge Frau wollte Hilfe holen, das Dorf aufwecken und deshalb die Glocken läuten. Aber auch sie wurde gepackt und mit barschem Ton darauf verwiesen, dass sie das zu unterlassen habe. "Es war einfach Wahnsinn, was da geschehen ist,“ sagt auch Altbürgermeister Adolf Höhn. Er verweist aber darauf, dass es damals ganz wichtig war, dass die gesamte Bürgerschaft zusammengehalten hat. Das war im Vorfeld schon der Fall und auch in den dann folgenden 15 Jahren Zwangsehe mit Maroldsweisach. Kurz erinnert er daran, daß 1975 eine Bürgerbefragung in Ermershausen stattfand. 98 Prozent sprachen sich für die Selbständigkeit aus. Entgegen des Wunsches der Regierung von Unterfranken, beantragte die Gemeinde Ermershausen im gleichen Monat den Anschluss an die Verwaltungsgemeinschaft Hofheim. Klage folgte nun auf Klage, ja sogar der Bayerische Verwaltungsgerichtshof musste sich des Themas annehmen. Ermershausen schloss sich nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stärker“ schließlich mit anderen bayerischen Gemeinden, die sich partout nicht eingemeinden lassen wollten, zu einer Aktionsgemeinschaft "Demokratische Gemeindegebietreform“ zusammen.

Kommunalwahl wurde boykottiert

Ein Volksbegehren in Bayern wurde angestrebt - und verworfen. Die Kommunalwahl im März 1978 boykottierten 96 Prozent der Ermershäuser, weshalb die Wahlurne wegen der geringen Stimmabgabe unter Polizeischutz zum Auszählen ins benachbarte Maroldsweisach gebracht werden musste. Mit Inkrafttreten der Gemeindereform wurde das Dorf am 1. Mai 1978 dem Markt Maroldsweisach zugeordnet. Das wiederum hatte dann am 19. Mai den Polizeieinsatz zur Folge. Am 1. Januar 1994 dann die "Freiheit für Ermershausen“. Heinrich Kirchner erinnert sich noch genau an diesen Tag. "Die Glocken läuteten vom Turm unserer Kirche, die Menschen lagen sich in den Armen, wir waren froh, dass wir durchgehalten hatten und es geschafft hatten.“ Dann hieß es anpacken, denn das kommunale Leben in Ermershausen musste wieder neu aufgebaut werden.

"Altlasten" der Zwangsehe

Adolf Höhn wurde erneut zum Bürgermeister gewählt und er weiß noch wie man ganz von vorne anfangen musste. Man hatte im Rathaus ja nichts mehr. Selbst die Büromöbel mußten mit allem drum und dran angeschafft werden. Aus der Zwangsehe mit Maroldsweisach waren noch Schulden zu bezahlen, die dann allerdings vom Staat übernommen wurden. "Es war ja nicht unser Verschulden,“ sagt Adolf Höhn heute. Der Wald war und ist das Kapital von Ermershausen und so gelang es hier bereits im ersten Jahr wieder ein Plus einzufahren. Nach und nach erholte sich die Gemeinde und ist heute schuldenfrei. "Wir konnten schon zu meiner Amtszeit bereits Maßnahmen durchführen ohne unsere Bürger zu belasten,“ sagt Altbürgermeister Adolf Höhn.

Glocke und Gedenkstein erinnern an Zwangseingemeindung

An die 15 Jahre Zwangseingemeindung erinnern am Rathausplatz eine Glocke und ein Gedenkstein. Es ist die einstige Freiheitsglocke, die immer dann geläutet wurde, wenn besondere Aktionen waren. Immer jedoch am Gedenktag, dem 19. Mai, wenn jeweils frühmorgens um 4:30 Uhr an den Überfall mit einem Fackelzug und einer Protestveranstaltung am Rathausvorplatz erinnert wurde. Das wissen auch die jungen Ermershausener ganz genau. Informationen, die sie von ihren Eltern und Großeltern haben. "Es ist uns ganz wichtig das zur Geschichte unseres Dorfes zu wissen,“ sagt ein 23-Jähriger aus dem Ort. Heute ist von Feindschaften mit Bürgern in Maroldsweisach nichts mehr zu erkennen. Trotzdem wolle man die schwere Zeit nie vergessen und deshalb sollen Gedenkstein und Glocke als Mahnung stehen bleiben, fügen andere an.

2014 knallen in Ermershausen die Sektkorken

Zur Verbindung mit den Bürgern in Maroldsweisach meint Altbürgermeister Adolf Höhn, dass die nie so schlecht war, wie sie geredet wurde. "Wir haben uns innerhalb der Bürgerschaft verstanden, Geschäfte gemacht und es wurde auch herüber und hinüber geheiratet, so wie das heute noch der Fall ist.“ Die Leute verstehen sich, reden miteinander, wissen auch was damals Schlimmes passiert ist, aber man ist nicht mehr böse miteinander, sagt eine Ermershäuserin. Das sieht auch der jetzige Bürgermeister Werner Döhler so. An das was, vor 30 Jahren im Ort geschah, werde man sich zwar erinnern, aber das ganz gewiss nicht groß feiern. "Ein wichtigeres Datum ist für uns der 1. Januar 1994, als Ermershausen wieder eigenständig wurde und dieses Datum das feiern wir im Turnus von zehn Jahren,“ fügt das Ortsoberhaupt an. Das wäre dann im Jahr 2014 und da werden dann wohl in Ermershausen die Sektkorken knallen.(hf)+++


Am Rathausvorplatz erinnern heute lediglich noch Freiheitsglocke und Gedenkstein an den Polizeiüberfall vor 30 Jahren.

In der Ortsmitte steht dieser Findling aus den Haßbergen.

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