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Johanna Rau (43), studierte Theologie in Heidelberg, Wien, Marburg. Im Anschluss an das Examen nahm sie an einem Studienprogramm in Jerusalem teil. Bereits während des Studiums besuchte Rau zahlreiche Lehrveranstaltungen zum Thema Judentum und jüdisch-christlicher Dialog. Seit zehn Jahren führt sie gemeinsam mit Ehemann Hubertus Marpe die Pfarrstelle Oberkalbach, Heubach und Uttrichshausen. Rau ist Mutter von drei Kindern - Fotos: Rosalinde Schwarz

Die Landsynagoge in Kalbach-Heubach nach ihrer grundlegenden Renovierung. Das historische Gebäude soll wieder zu einem Ort der Begegnung und des kulturellen Austausches werden.

19.01.08 - Heubach

„Obermayer Jewish History Award“ - Pfarrerin Johanna RAU rettete Synagoge

Pfarrerin Johanna Rau aus Kalbach-Heubach (Kreis Fulda) wird in einigen Tagen wegen ihres Engagements um die Rettung der Landsynagoge Heubach, mit einem bedeutenden Preis, dem „Obermayer German Jewish History Awards“ ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die seit dem Jahr 2000 an Deutsche Bürger vergeben wird, die auf freiwilliger Basis besondere Beiträge leisteten, um die jüdische Geschichte, Kultur und überlieferte Zeugnisse ihrer Gemeinden zu bewahren.

Eine Jury, der unter anderem der frühere Berliner Bürgermeister Walter Momper und der Vorsitzende der Axel-Springer-Stiftung, Ernst Cramer, sowie der aus einer jüdischen Familie in Creglingen/Tauber stammende Arthur Obermayer angehören, haben die Preisträger dieses Jahres ausgewählt. Das Leben in Deutschland wurde in der Vergangenheit durch Beiträge von jüdischen Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern bereichert. Musik, Wissenschaft, Literatur und Architektur waren oftmals gemeinschaftliche Bemühungen, in denen sich unterschiedliche Talente verbanden.

Das Naziregime und die damit verbundene zeitweilige Auslöschung der jüdischen Gemeinden beendete eine lange Periode der Zusammenarbeit. Vorgeschlagen wurden die Reisträger dieses Jahres von Jüdinnen und Juden, die außerhalb Deutschlands leben. Die insgesamt sechs Auszeichnungen werden am Mittwoch, den 23. Januar, im Berliner Abgeordnetenhaus übergeben. Infos im Internet www.obermayer.us

Landsynagoge Kalbach-Heubach

Inmitten der Gemeinde Kalbach - Heubach steht ein Haus, das bis Ende der 1920-er Jahre, Zentrum jüdischen Lebens war. Nun könnte das historische Gebäude erneut zu einem Ort der Begegnung und des kulturellen Austausches werden: „Ein Lernort für zukünftige Generationen“, freut sich Johanna Rau, Vorsitzende des Förderverein Landsynagoge Heubach e.V.. Ein Anlaufpunkt soll entstehen, um der dörflichen Kultur näher zu begegnen, in der einst Menschen christlichen und jüdischen Glaubens in friedlichem Miteinander lebten.

Im vergangenen Jahr erhielt die Landsynagoge Heubach den Hessischen Denkmalschutzpreis. Über vier Jahre nahm die aufwändige Sanierung des Projektes „Landsynagoge“ in Anspruch. Detailgetreu, abgestimmt auf die örtlichen Gegebenheit wurden Fassade und Ausgestaltung restauriert. Nur wenige Bauteile konnten im Original erhalten werden. Eine Aufarbeitung der Historie, dokumentiert familiäre, geschäftliche und gesellschaftliche Verbindungen zu jüdischen Familien, die in Brückenau, Geroda und Völkersleier, lebten und arbeiteten. So beispielsweise Nathan Goldschmidt und sein Bruder Leopold, Söhne des Heubacher Kaufmanns Mose Goldschmidt und seiner Ehefrau Karolina. Beide wohnten in der Unterhainstraße 165 in Brückenau. Ein weiterer Bruder namens Simon, ehelichte Benjamina Strauß aus Geroda. Die Genannten, sowie 41 Männer und Frauen, die in Heubach geboren worden waren, überlebten den Holocaust nicht.

Viele Details der Synagoge in Heubach erzählen von der jüdischen Historie, wie etwa eine Mesusa, angebracht am rechten Türrahmen und eine Mikwe, einem rituellen Tauchbad, im Untergeschoss des Gebäudes. Die Mesusa, eine Kapsel, die Pergamentstreifen mit Versen aus dem 5. Buch Mose enthält, wurde jeweils beim Betreten und Verlassen des Hauses berührt. Die einstige Mikwe, eine dazugehörige Regenwasserzisterne und deren ursprüngliche Wassereinspeisung über eine Dachrinne, sowie die Treppenstufen, die in das Tauchbad führten, konnten im Urbild erhalten werden. Die jüdische Glaubenslehre sieht eine rituelle Waschung mit „lebendigem“ Wasser vor. Im Bet- und Versammlungsraum, sowie in der Schule und Lehrerwohnung finden sich nur noch Fragmente vom einst weit verbreiteten Landjudentum. Ein Blick in den Betsaal, lässt die Stelle, an der vormals ein Thora-Schrein stand erahnen. Ein ausgelegtes Gedenkbuch, ist den einst in Heubach lebenden, jüdischen Familien gewidmet.

Die Theologin und dreifache Mutter Johanna Rau, übernahm im November 1996, gemeinsam mit ihrem Ehemann Hubertus Marpe, die Betreuung der Pfarrstelle Oberkalbach, Heubach und Uttrichshausen. Das stark renovierungsbedürftige Bauwerk im Ortskern sei von Beginn an, für sie ein Augenmerk gewesen, verrät Rau. Doch die vormalige Synagoge befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Privatbesitz. Erst 2003 brachte ein, von der EU aufgelegtes Förderprogramm den Stein ins rollen. „Geschichte lebendig machen“, fand Rau bei Heike Vögler, Lydia Augustin und Dr. Karen Reitz-Koncebovski, Unterstützung für ihr Anliegen und es wurde der „Förderverein Landsynagoge Heubach e.V.“, ins Leben gerufen.

Zudem setzten sich viele Einheimische für das Synagogenprojekt ein und in enger Zusammenarbeit mit dem Heimatverein und dessen Vorsitzendem Hans Reith, gelang es die Geschichte der israelitischen Gemeinde aufzuarbeiten. Vier Jahre Bauzeit waren nötig, bis das Gebäude seiner heutigen Bestimmung übergeben werden konnte. Schließlich gelang es Professor Gerd Weiß, Leiter der Denkmalpflege Hessen, die Kalbacher Gemeindeverwaltung mit ins Boot zu holen. Neben der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, des Landkreises Fulda, der Sparkassenkulturstiftung, unterstützten viele private Spender das Projekt des Förderverein mit finanziellen Mitteln. Insgesamt waren 780000 Euro Sanierungsaufwand zu schultern.

In der Blütezeit der Gemeinde, etwa um 1890. lebten 97 jüdische Menschen in Heubach. Etwa zeitgleich verzeichnete die israelitische Gemeinde in Brückenau zahlreiche Zuwanderer aus dem benachbarten hessischen Umland. Um 1900 zählte Brückenau 1626 Einwohner, davon waren 114 jüdischer Glaubenszugehörigkeit. In Heubach stellten Menschen jüdischen Glaubens ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Sie engagierten sich in den örtlichen Vereinen, wirkten mit in den dörflichen Gremien und beteiligten sich an der Einrichtung einer Schwesternstation. Ein Betzimmer, eingerichtet in einer privaten Wohnung, in der Nähe des späteren Gemeindezentrums, reichte bald, für die Bedürfnisse der wachsenden Familien in Heubach, nicht mehr aus. Auf dem Grundstück einer ehemaligen Zehntscheune, in der Ortsmitte, errichtete dann die israelitische Gemeinde, in der Zeit von 1841 bis 1844, ein repräsentatives Gebäude.

Nach der Jahrhundertwende zog es viele Familien aus Heubach in größere Städte, wie Fulda, Frankfurt, Würzburg oder Berlin. Rückläufige Kinderzahlen veranlassten 1924 zur Schließung der Schule, lediglich der Betsaal wurde bis etwa Ende der 20-er Jahre, als Synagoge genutzt. Schon lange vor der Ära Nationalsozialismus waren die meisten jüdischen aus Heubach zu Verwandten und Freunden in größere Städte abgewandert. 1937 verkaufte Simon Goldschmidt, Vorsteher der israelitischen Gemeinde in Heubach, das Gebäude an die Gemeindeverwaltung. +++

Hintergrund Historie „Schutzjuden“

Bis ins 18. Jahrhundert reichen die Wurzel der jüdischen Gemeinde Heubach zurück. Während dieser Zeit wurden einige Familien in der hessischen Nachbargemeinde sesshaft, als sogenannte „Schutzjuden“ der damaligen Herren zu Schwarzenfels. Bereits zu Zeiten des Heiligen Römischen Reich gab es „Schutzjuden“. Dies waren Menschen jüdischer Glaubenszugehörigkeit, die gegen Bezahlung von Gebühren, dem Schutz des Kaisers unterstanden. Bereits rund zweihundert Jahre früher als Heubach, dokumentieren geschichtliche Aufschreibungen „Schutzjuden“ aus Brückenau auf Burg Schwarzenfels. Von 1561 bis 1579 hielt sich Gräfin Helene von Hanau auf der Burg Schwarzenfels ihren Witwensitz. Einer ihrer Hoffaktoren (Vertrauensstellungen an den Höfen der Fürsten) war Salomon von Brückenau. Von ihm lieh sie Geld. Der Händler Salomon muss für sie Essen, Wohnungseinrichtung und „weißes Nähgarn“ besorgen. Mitte Februar 1575 nimmt Salomon am Nachtessen auf Burg Schwarzenfels teil, zudem erhält zwei Jahre später die Hofküche zu Schwarzenfels von dem Juden zu Brückenau 154f Pfund Kalbfleisch. Nach der Judenvertreibung aus Brückenau im Jahre 1671, merken die Fürstäbte in Fulda sehr schnell um die Nachteile dieser Vertreibung. Es entstanden Löcher in den fürstäbtlichen Kassen und auch das wirtschaftliche Leben war geschwächt. Schon zu früher Zeit aus den meisten Erwerbszweigen verdrängt, durch Zünfte und Grunderwerbsverbote aus vielen Berufen ausgeschlossen, boten Kleinhandel, Pfandleih- und Geldgeschäfte den Juden einzige Existenzbasis.

Beinahe hundert Jahre später, 1679, schließt Placidus von Droste, Fürstabt von Fulda einen Vertrag mit dem Schutzjuden Löw Ochs wegen Prägung von Münzen. Auch Fürstabt Amand von Buseck (1737 – 1756) führt, wie seine Vorgänger Adolf von Dalberg, Konstantin von Buttlar und Adalbert von Schleifras, die offene Judenpolitik seiner Vorgänger weiter. Im ganzen fuldischen Land siedeln sich erneut zahlreiche Juden an. Die Fürstäbte geben Schutzbriefe an Juden aus und Amand von Buseck erlässt eine grundlegende Judenordnung. Ihr zu Folge muss alljährlich ein in der Synagoge beschworenes Verzeichnis aller Juden eingereicht werden. Demnach wird Judenschutz wird für drei Jahre zu jeweils einem Gulden gewährt, ein für damalige Verhältnisse lukratives Geschäft für die regierenden Fürstäbte. Erst im 19. Jahrhundert, ausgehend von der französischen Revolution, erhielten die Juden in Etappen das allgemeine Bürgerrecht. (R.S.) +++



Blick in den Betsaal, auf den ehemaligen Thora-Schrein


von links nach rechts: Lydia Augustin, stellvertretende Vorsitzende des Förderverein Landsynagoge Heubach,Heike Vögler, Schatzmeisterin und Johanna Rau, Vorsitzende

Dieses und das folgende Bild zeigen Darstellungen früherer Wandbemalungen im Betsaal




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