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"Unromantisch - und trotzdem schön" - so sieht Konstantin Wecker seine Theatermusik zu Faust II.

Regisseur Torster Fischer hegt mittlerweile brüderliche Gefühle für den Komponisten.

09.06.07 - Bad Hersfeld

"Unromantisch, subtil, gemein" - Festspiel-Interview WECKER & FISCHER

Mit der Premiere des FAUST II von Johann Wolfgang von Goethe in der Neuinszenierung von Torsten Fischer beginnen am heutigen Samstag die 57. Bad Hersfelder Festspiele. Im letzten Jahr inszenierte Torsten Fischer in Bad Hersfeld bereits Faust I. Nun geht er einen Schritt weiter und widmet sich dem zweiten Teil. Konstantin Wecker hat wieder die Musik dazu komponiert. Die Hersfelder Festspiele finden Jahr für Jahr europaweite Beachtung und Presseresonanz und dafür gibt es Gründe: Zum einen wird in Bad Hersfeld Jahr für Jahr ein - auch im Vergleich mit anderen Festspielstandorten - außergewöhnlich qualitatives und innovatives Programm aufgelegt. DasNiveau der Theaterarbeit fällt in den Bewertungsbereich absoluter Hochkultur. Das Hohelied auf die Qualität des Programms muss natürlich in erster Linie auf das Ensemble gesungen werden. Von der Intendanz bis zu den Regisseuren und Schauspielern ist dieses jährlich neu zusammenfindende Konglomerat an Künstlern die Creme de la Creme dessen, was die Szene deutschsprachiger Theaterschaffender zu bieten hat. Last but not least dürfte kaum woanders ein stimmungsvolleres Bühnenambiente als der imposante und großartige Raum der Stiftsruine existieren - immerhin der größten romanischen Kirchenruine Europas

In unserem Interview äußert sich Konstantin Wecker, der - nachdem er in der Spielzeit 2006 die Musik zu Faust I komponiert hat - nun auch die ebenfalls von Torsten Fischer erarbeitete Neuinszenierung des Faust I I musikalisch untermalt. Auch Regisseur Fischer kommt zu Wort. Er sagt, er und Konstantin Wecker seien mittlerweile wie Brüder, die ähnlich denken und arbeiten - und die Zusammenarbeit funktioniere zu beider Zufriedenheit.

Herr Wecker, Sie haben vor Faust 1 angekündigt, es dem Theaterbesucher nicht allzu leicht machen zu wollen, haben angekündigt, "subtil gemein" komponieren zu wollen. Welche "Foltermethoden" erwarten uns für Faust 2?

Wecker: Wenn ich davon spreche, unromantisch arbeiten zu wollen, dann ist es immer noch ganz schön ...

Schön?

Wecker: ... romantisch im Vergleich zu anderen. Ich muss mich immer beherrschen und versuchen, von dem Pathos, das ich liebe und das sich in meinen Liedern wieder findet, Abstriche zu machen. Das ist wichtig. Aber es ist noch romantisch. Es soll nicht sperrig oder atonal sein, da würde sich der Regisseur zu Recht beschweren. Die Musik muss klar sein, es darf kein Gewaber werden, eine klare Struktur ist gewünscht. Ich habe nichts dagegen, dass man die Musik bei den Aufführungen gar nicht bewusst wahrnimmt. Viele Menschen glauben wohl, dass ich mich gerne in den Vordergrund drängen möchte, weil ich ja auch Protagonist meiner Lieder bin. Ich bin aber so gerne Musiker, und so gerne Theatermusiker, dass ich es liebe, zu einer Atmosphäre beizutragen. Ich bin unkompliziert in der Hinsicht!

Die Versuchung ist aber dennoch da, sich mal so richtig auszutoben?

Wecker: Das ist immer reizvoll - Blechblasorchester einzubauen und so. Man träumt auch immer irgendwie von großen Orchestern.

Wie haben Sie Faust II für sich entdeckt?

Wecker: In der Oberstufe, interessanterweise durch einen fabelhaften Lateinlehrer, der uns Goethe nahe brachte. Und über meine Mutter, die Goethes Gedichte sehr liebte. Goethe war für mich immer ein greifbarer Dichter und niemals auf einem Podest. Zum Glück habe ich ihn über die Gedichte kennen gelernt und nicht über Clavigo. Zu Schulzeiten habe ich mich gern in Faust II hineinversetzt. Nun bin ich gespannt auf Torstens Version - das wird dann meine

Muss man an einem Abend beide Stücke sehen?

Wecker: Faust II muss man einfach sehen. Ich habe insgesamt dreimal Faust II gesehen und ihn beim zweiten Mal erst verstanden. Man darf nicht vergessen, dass das erforderliche Bildungspotenzial schon damals sehr hoch war, zu Goethes Zeiten, als sich die Allgemeinheit mit Griechenland und den Klassikern noch auskannte. Heute ist das vorbei! Die einzige Möglichkeit einen Zugang zum Stück zu bekommen ist über das Geschehen auf der Bühne, über einen Regisseur, der einem die intellektuellen Kabinettstückchen auf andere Art und Weise erklärt. Um Faust II zu mögen, ist es unbedingt nötig, das Stück zu sehen. Ich bin froh, dass es in Bad Hersfeld wieder aufgeführt wird und dass es so klar strukturiert ist, wie bei Torsten Fischer.

Wie sind Sie, Herr Fischer und Herr Wecker, bei der Entwicklung der Musik vorgegangen? Haben Sie wieder, wie 2006, intensive Tage miteinander verbracht?

Wecker: Nein, genau so - außer dass wir uns nach 2006 den ersten der beiden Tage hätten sparen können, nachdem damals bereits die prinzipielle Richtung festgestanden hatte. Jetzt weiß ich noch mehr. Zum Beispiel, dass die Schauspieler ohne Mikroport arbeiten und die Musik niemals so wahnsinnig ausartet, dass sie die Schauspieler behindert. Sämtliche Intensität der Musik muss über subtile Mittel erreicht werden. Es geht nichts bombastisches. Nach der Premiere hat mir ein Musikwissenschaftler gestanden, dass die Musik gar nicht so laut wäre, wie er es befürchtet hätte. Was weiß ich, was der erwartet hatte! Wir haben eine Theatermusik erarbeitet.

Wie schaffen Sie es, bei der sehr detaillierten Arbeit an der Musik den Überblick zu behalten?

Wecker: Torsten kann sich bei der Ausarbeitung darauf verlassen, dass ich nichts mache, was ihn stört. Der Prozess ist bis zur Premiere dynamisch. Im zweiten Teil haben wir eher wenige Teile, die mit Musik versehen werden. Sieben Szenen insgesamt.

Fischer: Wir sind wie Brüder inzwischen. Wir denken sehr ähnlich und wir verstehen einander.

Wie schaffen Sie es, bei der sehr detaillierten Arbeit an der Musik den Überblick zu behalten?

Wecker: Torsten kann sich bei der Ausarbeitung darauf verlassen, dass ich nichts mache, was ihn stört. Der Prozess ist bis zur Premiere dynamisch. Im zweiten Teil haben wir eher wenige Teile, die mit Musik versehen werden. Sieben Szenen insgesamt.

Fischer: Interessante Frage! Man lernt nie aus, denn auf der einen Seite wird man umso unsicherer, je mehr man kann, auf der anderen Seite schwindet die Panik vor Details der Arbeit. Das was ich mir nicht merke, war nicht gut, das fällt durch ein Sieb. Was ich mir merke, ist brauchbar und was ich nehme, kommt zusätzlich aus den Proben. Ich habe kein Buch und arbeite ohne. Das könnte ich nicht. Lieber gerate ich in die vermeintlich peinliche Situation, dass ich nichts weiß. Das ist mir übrigens nicht peinlich, denn in diese Momente muss was kommen. Früher war ich unwirsch und versuchte es zu erzwingen, heute mache ich einfach weiter mit der nächsten Szene.

Wecker: Da geht es Dir besser wie mir. Ich muss mich dem fügen, was Dir eingefallen ist. Wir haben aber immer die Option zum Beispiel auch keine Musik zu machen.

Fischer: Konstantin schimpfte nicht mal, als feststand, dass ich einiges seiner Musik im letzten Jahr gar nicht verwendete, weil ich straffen musste.

Wecker: Ich gestalte die Musik so, dass Torsten Freiheit hat, schneller oder langsamer zu werden. Konzentriert komponierte Musik zu schaffen, würde nicht passen. Ich sehe die Theatermusik als eine dem Regisseur dienende Musik. Wenn ich ihm Anregungen für sein Gefühl geben kann, freue ich mich - oder wenn er dadurch besser inszeniert, ist es wunderbar.

Fischer: Wie wäre es - Du singst vor jeder Probe eine Stunde für mich! (lacht).

Herr Fischer, wie waren Sie mit Ihrer ersten Saison in Bad Hersfeld zufrieden?

Fischer: Es war super und hat Spaß gemacht. Das Klima war gut: Sowohl was das Wetter und die Mannschaft angeht. Über die Resonanz konnten wir ebenfalls nicht klagen.

Was hat sich vor Ort einfacher herausgestellt, was komplizierter als erwartet?

Fischer: Es fing ein wenig schwierig an, denn wenn ein Stück neu inszeniert wird, braucht man gute Probenbedingungen. Die waren zunächst nicht vorhanden, später ging es dann in einem besseren Rahmen weiter. Das Festival selbst passiert an einem magischen Ort und da braucht man auch für die Proben einen Platz, der hilft, die Phantasien zu bündeln. Die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung von Bad Hersfeld hat mir ebenfalls sehr gefallen. Ich bin die Arbeit mit Opernchören gewöhnt und dieser Chor hat verstanden, was ich möchte. Und die Auswahl der drei Protagonisten des Stücks war ebenfalls sehr geglückt. Ich kann nur hoffen, dass wir in diesem Jahr dort anfangen, wo wir 2006 aufgehört haben. Faust II ist ungemein sperriger, aber nachdem man sich jetzt so gut kennt, bin ich guter Dinge.

Martin Reinke betonte in einem Interview, dass man in Bad Hersfeld ökonomisch arbeiten muss, um Wind und Wetter zu trotzen. Wie haben Sie die Wochen empfunden?

Fischer: Ich habe mich versucht leicht zu halten. Die entstandenen Probleme habe ich mit mir gelöst um harmonisch zu arbeiten. Ich bin leicht geblieben. Hinterher wurde mir klar, wie groß das Stück ist. Das Schwierige ist in der Tat, mit Wind und Wetter zu leben. Am Anfang ist das Theater ein leerer schwarzer Raum, ein Kosmos, den man mit seinen Ideen füllen muss. Man besteht gegen Natur, die Sonne, gegen Baulärm und Regen. Draußen tickt der Mensch anders. Wir Theaterleute gehen nicht ohne Grund in Keller und schwarze, dunkle Hallen, um unsere Welt zu schaffen. In einer existierenden Welt sich zu behaupten, ist schon schwieriger. Bei halbprofessionellen Freilichtspielen ist das Ergebnis meist ein sehr leichtes um nicht zu sagen ein gefällig-harmloses. Anderes zu versuchen, ist sehr schwer. Faust I muss auch an den Umständen gemessen werden, in einem Theater würde ich das Stück anders machen.

Das heißt, Sie sind nicht vollends zum Freiluftfanatiker geworden durch Bad Hersfeld?

Fischer: Nein, üblicherweise findet man mich drin, nicht draußen.

Warum soll man sich Ihrer Meinung nach Faust II anschauen? Das Stück gilt als schwierig und schwer verständlich…

Fischer: Man muss bedenken, warum Goethe selbst sich so über Faust II geäußert hat. Wenn ich angebe, dann behaupte ich, dass ich beim Lesen die Hälfte verstanden habe. Wenn ich ehrlich bin, dann vielleicht ein Zehntel. Man arbeitet sich also durch die Nachschlagewerke und überlegt sich, wie man das Stück zugänglich macht. Nicht "leicht", nicht "Reader's Digest" - das finde ich doof. Ich habe mich drei Monate mit dem Stück beschäftigt und dann eine Streichfassung angefertigt, in der von 220 Seiten rund 80 übrig blieben. Dann habe ich erst verstanden, was genau mich an Faust II interessiert. Interessanterweise war das, wie bei Faust II, die Liebesgeschichte zwischen Faust und Margarethe, die ja im zweiten Teil eindeutig hinter der Figur der Helena immer wieder aufscheint. Die Geschichte ist nach Faust I noch nicht zu Ende erzählt. Die ganze Wahrheit ist noch nicht ausgesprochen. Der Beweis hierfür ist, dass im letzten Teil von Faust II Margarethe noch einmal auftritt, ihm verzeiht und ihn mitnimmt in den Tod. Happy End! Man muss natürlich auswählen, welche Aspekte man von Faust II also erzählt und wie man die Geschichte aus Faust I weiterführt. Genau das habe ich versucht, zu tun.

Muss man an einem Abend beide Stücke sehen?

Fischer: Das wird in der Tat in Bad Hersfeld angeboten, abgesehen davon kann man, wenn man die Karten geschickt wählt, beide Stücke an aufeinander folgenden Abenden sehen. Wie ich höre, ist das Interesse an Faust II sehr groß. Selbst wenn man Faust I nicht kennt, wird Faust II ein eigenständiges Erlebnis sein. Das wäre ja furchtbar, wenn es anders wäre.

Fischer: Die Struktur ergibt sich aus den Anforderungen von Bad Hersfeld, wo man die Geschichte in zwei Stunden erzählen muss. Peter Stein hat es in einer 24-stündigen Version versucht und bei allem Respekt vor diesem früher großartigen Regisseur - vielleicht ist er es auch heute noch, das wird "Wallenstein" zeigen - er ist dran gescheitert. Jeden Aspekt auszuwalzen und ihn zu spielen, das hat Goethe nicht gewollt und nicht so gemeint.

Sie wollten mit Faust I in Bad Hersfeld ein sehr politisches Stück aufführen ...

Fischer: ... was einige Leute nicht verstanden haben!

Inwieweit?

Fischer: Ich hatte einen politischen Faust angekündigt und manche haben das mit parteipolitisch verwechselt und vielleicht rote Fahnen erwartet. Aber das wäre bescheuert. Die Tatsache, dass man aus drei Engeln im Stück zwanzig macht und die in unterschiedlichen Sprachen sprechen lässt, und dass man überlegt, was der Himmel heute ist, die Utopie eines Zusammenseins ohne Klassen - das ist der Kern einer Utopie, die im Laufe der Geschichte zerstört wird. Die Engel können nicht verhindern, was passiert. Insofern ist es ein politisches Stück. Das werde ich bei Faust II bedenken. Krieg und Macht spielen in dem Stück eine große Rolle. Man möchte vielleicht denken, dass der politische Kern die Kaiserszene ist oder die Erfindung des Geldes. Aber ein Kabinett habe ich jeden Tag in den Nachrichten, das brauche ich auf der Bühne nicht zu zeigen. Die politische Ebene ist hier in den Machtgelüsten von Faust, der die ganze Welt besitzen und die Meere trocken legen will. Selbst sein fiktiver Sohn Euphorion wünscht sich, als Steigerung von Ruhm und Ehre in den Krieg zu ziehen und zu sterben. Das sind die Realitäten unseres Lebens, die das Theater bedenken muss und nicht die falsche Aktualisierung eines Stücks, das eigentlich ohne auskommen kann.

Sind die drei Protagonisten ihr "Dreamteam"?

Fischer: Eines von vielen anderen. Im Theater ist jeder zu ersetzen. Das Theater ist eine Welt der Konkurrenz. Das finde ich schön und das musste ich erst lernen. Man denkt zuweilen, dass man es selbst am besten macht. Ich finde es besser, wenn es alle am besten machen. Das Theater ist so bedroht vom Zwang, es kommerziell erfolgreich zu machen! Mit Anna-Franziska Srna, Martin Reinke und Rufus Beck habe ich für mich in dieser Periode meines Lebens ein Dreamteam gefunden und mit Herbert Schäfer und Konstantin Wecker sowieso. Es gäbe aber auch andere denkbare Konstellationen. +++

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