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Begrüßung durch Stefen Flicker, links Bischof Algermissen, 2.v.rechts Dr. Geißler und ganz rechts Andrea Hoffmeier, BDKJ-Bundesvorsitzende - Fotos: Steffen Jahn

22.04.07 - Kleinsassen

"Wirtschaftspolitik als Ursache für soziale Probleme" - BDKJ-Tagung

"Nicht das Soziale muss neu gedacht werden, sondern das Neue muss sozial gedacht werden!" auf diese Formel brachte der ehemalige Bundesjugendminister Dr. Heiner Geißler seine Forderung zur Zukunft des Sozialstaates. Im Rahmen der BDKJ-Diözesanversammlung im Ludwig-Wolker-Haus in Kleinsassen diskutierte der ehemalige CDU Generalsekretär am Samstag mit Bischof Heinz Josef Algermissen und der BDKJ-Bundesvorsitzende Andrea Hofmeier über das Thema "Generation Praktikum - Zukunftschancen für Jugendliche?"

Nach der Begrüßung der ca. 70 angereisten Gäste durch den BDKJ-Diözesanvorsitzende Steffen Flicker, stellt dieser in seiner Einführung in das Diskussionsthema an die Podiumsteilnehmer die zentralen Fragen: "Wie können Bildungschancen für Jugendliche, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, gesichert werden? Wie kann die Arbeitslosigkeit und die oft damit verbundene Armut von Familien überwunden werden und wie kann die Privatisierung sozialer Risiken gestoppt werden?"

Andrea Hoffmeier, BDKJ-Bundesvorsitzende, griff diese Fragen auf und versuchte in einer Präsentation mit den Kernpunkten des Zukunftmodells des BDKJ konkrete Ansätze und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Die Einführung eines Grundeinkommens und dessen Finanzierung über Steuern auf alle Einkommensarten sowie die Investition in die Bildung und die Ausrichtung der Erwerbsarbeit an ökologischen Maßstäben wurden dabei als zentrale zukunftspolitische Elemente betrachtet.

"Der Sozialstaat ist nicht die Ursache der wirtschaftlichen Probleme in unserem Land, sondern die Wirtschaftspolitik ist die Ursache für die Probleme im Sozialstaat!" In gewohnt klaren und prägnanten Sätzen formulierte Geißler seine Kritik an der aktuellen Politik und appelliert an die Jugendlichen, sich zu engagieren. "Die Zukunft wird nicht gestaltet durch Naturgesetze, das wird ihnen nur weisgemacht! Wie ihre Zukunft aussieht hängt von ihnen ab!"

Geißler forderte in seinem Statement den Stopp der Privatisierungen und macht den Abbau des Sozialstaates in Deutschland für die verstärkten Zukunftsängste von Jugendlichen verantwortlich, die sich, obwohl gut ausgebildet, von Praktikum zu Praktikum zu Minijobs und befristeten Arbeitsverträgen hangeln. "Wir brauchen mehr staatliche Verantwortung," so Geißler. Auch in Richtung der Wirtschaft ist seine Botschaft beim Thema Sozialstaat unmissverständlich: "Ein Unternehmen, das seinen Börsenwert über die Rationalisierung von Arbeitsplätzen definiert, ist höchst unsittlich!"

Bischof Algermissen plädierte in seinen Ausführungen für ein neues Miteinander und Füreinander der Generationen. Dabei fordert auch er das jugendliche Engagement und würdigt vor allem die Arbeit der ehrenamtlich Tätigen. "Ich bin dankbar, dass wir in unserem Bistum im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit gut aufgestellt sind; damit meine ich ausdrücklich auch die vielen Ehrenamtlichen. Ohne sie und ihr Engagement ist kirchliche Jugendarbeit nicht denkbar. Und ohne Jugendarbeit ist Kirche nicht denkbar."

Bischof Algermissen befürwortete "die Förderung eines familien- und kinderfreundlichen Klimas" als vorrangiges Ziel der Gesellschaft. "Es muss gelingen, den radikalen Bevölkerungsrückgang zu stoppen", so Algermissen.

In einer belebten und erhellenden Debatte wurden die Diskutanten, die im Anschluss ihrer Ausführungen ausführlich auf die Fragen des interessierten Publikums antworteten, immer wieder mit zustimmendem Beifall bedacht.

Steffen Flicker, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, dankte endlich den Podiumsgästen und schloss mit der Forderung: "Aber wenn schon nicht das Optimum der katholischen Soziallehre erreicht werden kann, so muss doch zumindest ein Maximum an christlichen Sozialprinzipien umgesetzt werden!" +++

Zu dieser Thematik gab der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen auch ein Grundsatz-Erklärung ab. Wir veröffentlichen nachfolgend dieses Statement "IM WORTLAUT".

"Vor gut drei Jahren schrieben die deutschen Bischöfe in ihrer Schrift Das Soziale neu denken: „Sollen Solidarität und Gerechtigkeit angesichts struktureller Massenarbeitslosigkeit und demografischen Wandels wiederhergestellt und gesichert werden, brauchen wir einen Aufbruch, der das Soziale neu denkt.“ Und im Hinblick auf die junge Generation, daß „eine Gesellschaft, die nicht mehr auf die nächste Generation hin lebt, …ihre Zukunft und Zukunftsfähigkeit schon verspielt“ hat. (ebd. S. 3).

Dieses Wort scheint mir fast richtungsweisend zu sein für diese Podiumsdiskussion zu den Fragen des demografischen Wandels. Sehr nüchtern, ja ernüchtert lautet dann auch das Motto dieser Veranstaltung heute, das eine ganze Bevölkerungsgruppe als Praktikumsgeneration bezeichnet. Es bringt zur Sprache, daß in der Regel gut ausgebildete junge Menschen sich von einem Praktikumsplatz zum nächsten hangeln, ohne die Chance zu erhalten, in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Die Folgen sind ebenso fatal wie absehbar. Ich darf wieder das genannte Papier der Bi-schöfe zitieren: „Der demografische Wandel führt… zu einem nicht nur volkswirtschaftlich problematischen Fehlen von jungen Menschen, und damit auch von Innovations-kraft.“ (ebd. S. 11).

Gottlob ist in die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes in den vergangenen Monaten Bewegung gekommen, die eine gewisse Entspannung gebracht hat. Die Arbeitslosenzahlen sinken, für mehr Menschen eröffnen sich dadurch neue Perspektiven. Dennoch bleibt die soziale, wirtschaftliche und demografische Entwicklung eine Wunde, die notwendig der Therapie bedarf. Ich möchte kurz einige Stichpunkte nennen, in denen ich Wegmarkierungen sehe auf dem Weg in ein Sozialsystem, das zukunftsfähig ist.

1. Ein neues Miteinander und Füreinander der Generationen trägt zur Bewältigung und Lösung der anstehenden Probleme besser bei als ein Gegeneinander. „Dies bedeutet auch, daß die Generationen Wege zu einem neuen Miteinander finden müssen… Nichts anderes verlangt das vierte Gebot in seinem humanen Kern“ (vgl. dazu Eröffnungsreferat von Kardinal Lehmann bei der Vollversammlung am 22.09.03 „Zu-sammenhalt und Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung zwischen den Generationen, S.24). Es bedarf also eines neuen Bewußtseins und einer neuen Verantwortung füreinander statt einer Besitzstandswahrung, die jeder ethischen und wirtschaftlichen Grundlage entbehrt.

2. „Träger, Schöpfer und Ziel aller gesellschaftlicher Einrichtungen“ muß der Mensch sein, wie es Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Mater et magistra“ formuliert hat (zitiert nach „Das Soziale neu denken“, S. 18). Als Ebenbild Gottes kommt ihm eine unwiderrufliche Würde zu. Entsprechend muß sich alles politische Handeln, gerade das der Wirtschafts- und Sozialpolitik, am Leben der Menschen orientieren und sie zu ei-nem eigenverantwortlichen Handeln befähigen. Dabei gilt besonderes Augenmerk den Ausgegrenzten, die im Schatten des Wohlstandes leben und keine Lobby haben.

3. Vorrangig ist die Förderung eines familien- und kinderfreundlichen Klimas. Es muß gelingen, den radikalen Bevölkerungsrückgang zu stoppen. In den vergangenen Wochen ist die Diskussion um den richtigen Weg in der Familienpolitik neu entbrannt. Die Diskussion um dieses eminent wichtige Thema begrüße ich ausdrücklich und habe mich selbst mit meinem Fastenhirtenbrief 2007 beteiligt und eingemischt. Ich wünsche mir, daß sie weitergeht. Ob dabei immer die richtigen Maßnahmen gefördert werden, steht noch in Frage.

Als Bischof kann und möchte ich den Wert der Familie als den Ort benennen, in dem Kinder Zuwendung, Geborgenheit und Erziehung erfahren. Sicher gibt es Bedingungen im Leben mancher Eltern und besonders Alleinerziehender, die ein Ausweichen auf andere Betreuungsformen notwendig werden läßt. Dafür müssen realistischerweise auch Krippenplätze zur Verfügung stehen. Mit ihnen sollte aber keinesfalls ein „Muß“ einhergehen, Eltern von ihrer ureigenen Erziehungsverantwortung zu entbinden und möglichst schnell nach der Geburt ihres Kindes ins Berufsleben zurückzukehren.

4. In den Arbeitsmarkt ist durch die Ankurbelung der Wirtschaft eine Entspannung getreten. Dennoch haben nach wie vor weniger qualifizierte Jugendliche schlechte Chancen, in ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Hier kann nur an die Verantwortlichen der Industrie- und Handelsunternehmen appelliert werden, junge Menschen auszubilden und sie danach ihrer Qualifikation entsprechend auch einzustellen. Ich kann nicht an Unternehmen appellieren, sich für junge Menschen zu engagieren, ohne dabei den Blick auf die Kirche, auf das Bistum Fulda zu lenken.

Daher kurz ein paar Daten: in drei Ausbildungsjahren bilden wir über unseren Bedarf junge Menschen zu Verwaltungsfachangestellten und zu Fachangestellten für Büro-kommunikation aus; wir bieten Ausbildungsstellen für den Beruf der Gemeindereferenten/innen; nahezu alle unserer Pfarreien halten Stellen für Erzieherinnen im Anerkennungsjahr bereit; Caritas und SkF tun dies gleichermaßen für Sozialpädagogen/innen; daneben gibt es Ausbildungsstellen für Köche/innen und Hauswirtschafterinnen.

5. Die Folgen des demografischen Wandels sind auch in der Kirche spürbar. Daß die Zahl der Priester- und Ordensberufe zurückgeht, ist auch eine Folge der geringeren Geburtenzahlen. Wir haben dies nicht zuletzt als geistlich-spirituelle Herausforderung verstanden und mit dem Pastoralen Prozeß der Diözese Fulda eine neue Strukturierung und Gewichtung der Arbeit gegeben. Darin ist die kirchliche Jugendarbeit ein gewichtiges Element, ohne sie würde sich die Kirche von der Verantwortung für die Zukunft lösen. Ich bin dankbar, daß wir in unserem Bistum im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit gut aufgestellt sind; damit meine ich ausdrücklich auch die vielen Ehrenamtlichen. Ohne sie und ihr Engagement ist kirchliche Jugendarbeit undenkbar. Und ohne kirchliche Jugendarbeit ist Kirche nicht denkbar. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und jungen Menschen das Evangelium Christi je neu verkünden, um auch in Zukunft Sauerteig in der Gesellschaft zu sein.

Ich möchte diese Gedanken zur Herausforderung des demografischen Wandel mit einem Blick auf die kirchliche Soziallehre abschließen. Sie steht dafür, eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu erreichen, die sichere und feste Lebensbedingungen für alle schafft. In Solidarität und Subsidiarität gilt es, die ethische Verantwortung der Menschen untereinander zu wahren und zu fördern. Es versteht sich von selbst, daß dies nicht zu Lasten einer Generation gehen kann." +++




Dank an Dr. Heiner Geißler

Bischof Algermissen in Kleinsassen

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