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- Fotos: Max Colin Heydenreich

Medizinischer Vorstand des Klinikums, Prof. Dr. med. Robert-Matthias Goerig...

15.08.06 - Fulda

KLINIKUM-Chefs zum Ärztestreik: "4 Stationen dicht - großer Umsatzausfall"

Seit nunmehr fast sechs Wochen dauern die Streikaktionen am Klinikum Fulda mit ganz unterschiedlicher Intensität an. In dieser Woche - so die Ankündigung des Marburger Bundes - soll der Ärztestreik sogar noch ausgedehnt werden. Von den 950 Betten des Klinikums sind inzwischen 135 Betten "aus der Versorgung" genommen worden. Die Rede ist von Umsatzausfall in Millionenhöhe und vier geschlossenen Abteilungen mit der Konsequenz, dass man eine "Patientenabwanderung" etwa an Uni-Kliniken befürchtet. "Osthessen-News" hat in den vergangenen Wochen ausführlich über die Streikationen der Ärzteschaft und die dabei benutzten Argumente berichtet. Die Redaktion führte ein EXKLUSIV-Interview mit dem Klinikum-Vorstand, Prof. Robert-Matthias Goerig und Vorstandsvorsitzendem Claus-Dieter Schad. "Die komplette Medizinlandschaft wird sich insgesamt verändern. Der Nimbus des Arztes leidet, der Vertrauensvorschuss, den die Gesellschaft den Ärzten und ihren moralisch-ethischen Werten gegenüber hatte, wird sinken" meinte Schad.

Begonnen wurde Anfang Juli mit einem Streiktag – wie stellt sich die Situation in dieser Woche dar?

Goerig: Wir werden die nächsten 7 Tage bestreikt, so ist die Ankündigung des Marbuger Bundes und entsprechend sind Notdienstvereinbarungen für diese Woche geschlossen worden.

Wie viele Betten bleiben leer, welche Stationen mussten geschlossen werden?

Goerig: Wir haben im Augenblick vier Stationen geschlossen. Bestimmte Patientengruppen haben wir zusammengeführt und 135 Betten aus der Versorgung genommen. Insgesamt verfügt das Klinikum über etwa 950 Betten. Geschlossen haben wir eine Station der Kinderklinik, eine gynäkologische Station sowie eine chirurgische und eine unfallchirurgische Station. Das bedeutet aber nicht, dass eine dieser Gruppen schlechter versorgt wird, sondern das hat vor allem organisatorische Hintergründe. Zum einen müssen wir die Bedingungen an die Erfordernisse anpassen, zum anderen muss ich die Folgen für das Klinikum möglichst gering halten. Sonst würden uns die hohen weiterlaufenden Kosten im nichtärztlichen Bereich große Probleme bereiten.

Gibt es Stationen/Kliniken in denen nicht gestreikt wird?

Goerig: Wir haben eine Klinik, die nicht streikt – die Tumorklinik. Alle Mitarbeiter auch die ärztlichen versorgen die Tumorpatienten. Wir haben einen erheblichen Zuwachs, weil Patienten aus anderen bestreikten Kliniken zu uns kommen, um versorgt zu werden. Das ist nicht das Ergebnis einer Absprache, sondern war allein die Entscheidung der beteiligten Ärzte, denen ich meinen größten Respekt entgegenbringe. Das entspricht auch meiner ärztlichen Überzeugung. Es ist für mich als Arzt nicht möglich, Tumorpatienten zu bestreiken.

Mussten Patienten abgewiesen werden?

Goerig: Tumorpatienten werden nicht abgewiesen, sie werden versorgt. Auch die Notdienste sind natürlich gesichert oder Patienten, die eine dringende Diagnostik brauchen, werden behandelt. Aber wir haben natürlich auch viele Patienten, die auf eine Operation warten und jetzt noch länger warten müssen. Manche Wartelisten werden so lang, dass man fragen muss, ist das mit ärztlichem Selbstverständnis vereinbar oder nicht? Ist es richtig, dass Kinder, die auf eine Operation warten, die sie eigentlich während der Ferien bekommen sollten, vertröstet werden auf einen Zeitpunkt, der nicht mehr in den Ferien liegt?

Wie viele Ärzte streiken eigentlich?

Goerig: Es sind ungefähr zwischen 90 und 120 Ärzte im Streik, darunter nicht nur junge Kollegen, sondern auch erfahrene Oberärzte. Die Zahl der streikenden Ärzte ist konstant. Am Klinikum arbeiten insgesamt 320 Ärzte. Man kann also sagen, dass der Betrieb ganz empfindlich gestört ist. Ich betone nochmals, die Notfallversorgung ist gewährleistet. Aber das Geplante ist weitgehend zum Erliegen gekommen und deswegen wachsen die Wartelisten oder die Patienten weichen an Universitätskliniken aus.

Bekommen die streikenden Ärzte trotzdem ihr Gehalt?

Goerig: Wer streikt, kann an dem Tag nicht bezahlt werden. Das können wir uns als gemeinnütziges Unternehmen nicht leisten, einfach weiterzubezahlen, wenn keine Leistung erbracht wird. Wenn es diesbezüglich aber zu einer vertragliche Regelung zwischen den Verhandlungspartnern kommt, dann müssen wir uns daran halten.

Haben Sie Verständnis für die Forderungen der Ärzte?

Schad: Die Fakten sind: Unser Bezirkstarifvertrag beinhaltet eine Verhandlungspflicht. Wir haben eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden, selbstverständlich bezahlte oder durch Freizeit entgoltenen Überstunden, einvernehmliche Urlaubsansprüche von rund 30 Tagen und eine exakte Zeitdokumentation der Arbeitszeiten. Es gibt eine Bruttogehaltsliste, da ist kein Armer drauf.

Goerig: Wir verstehen nicht, warum hier so hart gestreikt wird bzw. warum man sich so an den Vorgaben des Marbuger Bundes zur Eskalation beteiligt. Eine Überbelastung kann punktuell vorkommen, ist aber nicht die Regel. Unsere Ärzte können sowohl die Bereitschafts- als auch die Rufbereitschaftdienste zu Hause verbringen. Wir halten das bei den kurzen Wegen für vertretbar. Für Fort- und Weiterbildung stellen wir unsere Ärzte selbstverständlich frei, wir übernehmen aber keine Lehrgangs- oder Hotelkosten.

Und dennoch sind die Ärzte am Klinikum Fulda unzufrieden...

Goerig: Medizin ist eine Teamleistung. Innerhalb des Teams haben Ärzte in Deutschland Arbeiten übernommen, die in anderen Ländern von Ärzten nicht geleistet werden. Wir haben auch weniger Unterstützungspersonal in deutschen Krankenhäusern. Und jetzt ist natürlich eine Unzufriedenheit der Ärzte da, weil sie meinen, dass sie viele Leistungen im Haus erbringen, die genauso gut weniger und kürzer ausgebildete Mitarbeiter erbringen könnten.

Es stimmt, deutsche Ärzte müssen sich um vieles selber kümmern, müssen patientenferne Leistungen erbringen, und sie haben weniger Assistenz. Die Arbeitsverteilung ist möglicherweise überprüfenswert. Aber ich frage mich, sind die Arbeitsbedingungen im Klinikum Fulda wirklich so schlecht? Ich gebe zu, wir haben nicht die Ausstattung wie sie Universitätskrankenhäuser haben, aber wir haben hier auch keine Forschung und Lehre. Um die Ärzte von der Dokumentation zu entlasten haben wir ca. 25 medizinische Dokumentationsassistenten eingestellt. Das haben andere Krankenhäuser nicht gemacht.

Könnten Sie die Forderungen der Ärzte erfüllen?

Goerig: Wir haben bereits durch unseren Haustarifvertrag so viele Leistungen erbracht, dass uns eine Erfüllung der Forderungen gerade noch tragbar erscheint. Es würde einige hunderttausend Euro ausmachen, die wir mehr an die Ärzte bezahlen müssten. Aber das, was wir tragen können, wird durch die Streiklänge nicht gerade verbessert.

Was sagen sie zu den Vorwürfen des Marburger Bundes?

Goerig: Der Marburger Bund wirft mir vor, dass ich den Streik diskreditieren würde. Das verstehe ich gar nicht, das würde ja umgekehrt bedeuten, dass man einem Streik aus meiner Position in vollem Umfang zujubelt. Ich sage es mal so, ich diskreditiere keinen Streik, ich rede bloß nicht schön, was nicht schön zu reden ist.

Ich hätte mir gewünscht, dass man die regionalen Besonderheiten mehr in den Blick nimmt. Das Klinikum Fulda ist ein Großkrankenhaus in einer relativ kleinen Stadt mit einem sehr großen ländlichen Einzugsgebiet. Das ist etwas ganz anderes als wenn man in einer richtigen Großstadt ist, da gibt es Alternativen, andere Kliniken, Möglichkeiten zu wechseln. Wenn Universitätskrankenhäuser ca. 100 km entfernt sind, wird eine Region stärker bzw. früher getroffen als das in Großstädten der Fall ist.

Steht nach dem Ärztestreik anschließend ein Streik des Pflegepersonals ins Haus?

Schad: Mit dem Pflegepersonal ist erst vor 14 Tagen ein Tarifvertrag abgeschlossen worden, ich glaube kaum, dass der dann in Frage gestellt werden wird. Bei den Schwestern und Pflegern herrscht überwiegend Unverständnis gegenüber den grenzenlosen Forderungen der Ärzte. Wir sind aber gegen Insellösungen einzelner Kliniken, sie etablieren ein ungeordnetes System und damit Wildwuchs.

Goerig: Bei den durch den Ärztestreik erzwungenen Schließungen von Stationen wird ja nicht einfach eine Tür zugemacht. Durch die dadurch notwendigen Umstrukturierungen sind ja gewachsene Sozialverbände bei den Pflegekräften betroffen, die jetzt auf andere Stationen verteilt wurden. Die plakative Behauptung der Ärzte, sie arbeiteten unter „menschenunwürdigen Zuständen“ erzeugt den Eindruck von Leibeigenschaft. Dass die Ärzte alle arm und ausgebeutet sind, ist die übelste Unwahrheit. Unser Land hat solche Behauptungen nicht verdient. Die Patienten werden hart bestreikt, dafür habe ich keinerlei Verständnis.

Wird der Streik Konsequenzen der Klinikumsleitung für die Ärzte nach sich ziehen?

Goerig: Wir setzen keine Streikbrecher ein, wir sperren niemanden aus und wir werden keine Dienstpflichtsverletzungen anzeigen.

Welche Auswirkungen wird der Streik langfristig haben?

Schad: Ich behaupte, dass sich das Krankenhauswesen, die komplette Medizinlandschaft sich insgesamt verändern wird. Der Nimbus des Arztes leidet, der Vertrauensvorschuss, den die Gesellschaft den Ärzten und ihren moralisch-ethischen Werten gegenüber hatte, wird sinken.

Goerig: Das Krankenhaus wird nicht mehr das sein, was es einmal war. Die Patientenströme ändern sich, es wird eine Zeit der Umstrukturierung folgen, die Landkarte wird sich neu gestalten. Künftig werden wir von einem mehr und von anderem weniger haben. Die Teamleistung wird zunehmen, wir werden mehr im Pflegebereich verstärken, mehr Assistenz- und Unterstützungspersonal und vermutlich langfristig weniger Ärzte haben. Es gibt in der Bevölkerung Patienten und potenzielle Patienten. Die Patienten müssen ihren Ärzten vertrauen, denen bleibt gar nichts anderes übrig. Die potenziellen Patienten werden ihren bisherigen Vertrauensvorschuss abbauen, es werden in Zukunft mehr Zweitmeinungen eingeholt werden und die Reklamationen – auch auf juristischer Ebene werden zunehmen.

Schad: Der finanzielle Schaden, also der Umsatzausfall am Klinikum durch den Streik beträgt allein bis zum letzten Wochenende zwischen 850.000 und 1,4 Millionen Euro. Das ist eine wirklich spürbare Größe von etwa einem Prozent im Gesamthaushalt.

Das Interview führten Carla Ihle-Becker und Dorit Gutowski am gestrigen Montag im Büro des Klinikum-Vorstandes. +++



Vorstandsvorsitzender des Klinikums Fulda, Diplom-Volkswirt Claus-Dieter Schad...












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