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- Fotos: Klaus Dehnhard

21.06.06 - Alsfeld

"Ungerecht und bildungsfeindlich" - Schüler-Demo gegen Landespolitik

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Mit einem Demonstrationszug durch die Alsfelder Innenstadt und einer Kundgebung auf dem Marktplatz vor dem historischen Rathaus haben zwischen 900 und 1.000 Schülerinnen und Schülern aus Alsfeld gegen die Bildungspolitik der hessischen Landesregierung protestiert. Die Veranstaltung wurde gemeinsam getragen von den Schülervertretungen der Albert-Schweitzer-Schule, der Geschwister-Scholl- und der Max-Eyth-Schule sowie vom Kreisschülerrat. Mit Transparenten und Trillerpfeifen zogen die jungen Leute sowie Lehrkräfte, Gewerkschafter, Politiker und Eltern vom Stadthallenparkplatz in der Jahnstraße aus über die Jahnstraße, Altenburger Straße, Mainzer Tor und Mainzer Gasse bis zum Marktplatz.

Bei der Kundgebung machte nicht nur der Kreisschulsprecher Patrick Krug den Unmut der Alsfelder Schülerinnen und Schüler zu der geplanten "Unterrichtsgarantie +" und der Erhebung von Studiengebühren deutlich - als Gastredner kritisierten auch der Lehrer Karl-Heinz Battenberg vom Gesamtpersonalrat der Lehrkräfte im Vogelsbergkreis, der DGB-Vorsitzende der Region Mittelhessen, Ernst Richter, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Vogelsberger Kreistag, Karl-Heinz Krug, Erkan Ertan vom AStA Gießen und Daniel May von der Grünen-Jugend Kassel die bildungspolitischen Pläne der Landesregierung.

"Wir sind zufrieden mit dem guten Verlauf der Demonstration und darauf, dass wir so eindrucksvoll auf unsere Forderungen aufmerksam gemacht haben," erklärte Kreisschulsprecher Patrick Krug nach dem Ende der Kundgebung. Es komme jetzt darauf an, gerade in den Regionen den Druck gegen die negativen Vorhaben des Kabinetts in Wiesbaden zu verstärken. Dazu müssten noch mehr Bürger in die Diskussion einzubezogen werden und es müsse noch deutlicher herausgestellt werden, dass die Entscheidungen über die Schulpolitik nicht nur Schüler und ihre Eltern oder Studenten beträfen.

Wenn sich Hessen zu einem Land entwickele, in dem immer mehr die Finanzkraft der Eltern entscheidend sei für die Bildungschancen der Kinder, dann fördere dies etwa auch die Abwanderung der Menschen aus ländlichen Regionen. Mit den Planungen der Landesregierung könne auch nicht der - von Politikern immer wieder als zu niedrig beklagte - Level des Bildungsniveaus bei der Jugend angehoben werden.

Patrick Krug sagte, generell fänden die Schülerinnen und Schüler Bemühungen um die Reduzierung des vorhandenen Unterrichtsausfalls gut. Doch dieser Unterricht, der ja bestmöglich auf den Schulabschluss vorbereiten solle, müsse auch fachlich fundiert sein. Diesem Anspruch werde die so genannte „Unterrichtsgarantie plus“ nicht gerecht.

"Wir lehnen es kategorisch ab, von >pädagogisch interessierten Personen< unterrichtet zu werden. Wir sprechen niemandem das Interesse an Schule und Bildung ab, doch sind wir der Überzeugung, dass diesen Personen schlicht die fachliche und didaktische Kompetenz fehlt," erklärte Krug. Es sei nur schwer vorstellbar, wie etwa ein Vater, der sich zwar für die schulischen Angelegenheiten seines Kindes interessiere, aber nie ein Studium absolviert habe, die Themen des Mathematikunterrichtes der 10. Klasse verständlich und fundiert vermitteln könne.

Auch lehnten die Vogelsberger Schüler die Einführung von allgemeinen Studiengebühren zwischen 500 € und 1.500 € an den hessischen Hochschulen ab. Der Zugang zu einer guten Bildung und somit die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg dürfe nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Durch Studiengebühren werde von staatlicher Seite vor allem denjenigen Abiturienten der Weg an die Universitäten und Fachhochschulen versperrt, die aus wirtschaftlich schwachen Familien stammten. "Die Studiengebühren sind sozial- und wirtschaftspolitischer Unsinn," sagte der Kreisschulsprecher unter dem Beifall der Kundgebungsteilnehmer.

Die Vogelsberger Schülerinnen und Schüler forderten heute erneut die hessische Landesregierung sowie den hessischen Landtag auf, auf das „Gesetz zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung“ sowie auf die Einführung von allgemeinen Studiengebühren zu verzichten. Ähnlich äußerten sich alle Redner der Kundgebung mit ähnlichen Argumenten.

Als "untauglich" bezeichnete der Lehrer Karl-Heinz Battenberg (Max-Eyth-Schule) das Konzept des Landes zur Unterrichtsgarantie ab und lehnte die Studiengebühren ab. Für eine Qualität der Bildung in Hessen sei es nötig, gut ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen einzusetzen und die Gebührenfreiheit von Bildung zu erhalten. Karl-Heinz Battenberg ist Mitglied im Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Staatlichen Schulamt Gießen/Vogelsbergkreis, der als Interessenvertretung von über 4.000 Lehrkräften an über 100 Schulen im Vogelsbergkreis, der Stadt und dem Kreis Gießen wirkt. In diesem Gremium sind alle Lehrergruppierungen (GEWE, VBE, ZI, DLH) vertreten.

Die Unterrichtsgarantie+ sei von der Regierung gedacht als ein Vertretungskonzept, das jeglichen Unterrichtsausfall von der 1. bis zur 6. Stunde verhindern solle. Berechtigt zur Vertretung sollten künftig auch "interessierte Personen" sein. Die Schulleiter erhielten dafür geringe Geldmittel und müssten sich um die Aufstellung eines eigenen "Vertretungspools" kümmern. All das bedeute im Klartext: Rentner, Studenten, Eltern oder andere Personen ohne entsprechende Qualifikation könnten künftig Fachunterricht bis zu 5 Wochenstunden erteilen - wo ansonsten in Hessen keine Operation vorgenommen, kein Elektrokabel verlegt oder kein Bus gefahren werden dürfe ohne fachliche Qualifikatiln.

Die Schulen würden wegen der knappen Mittel dann "Billiglösungen" anstreben müssen und solche Vertretungspools ließen sich in ländlichen Regionen ungleich schwerer aufbauen als in Ballungsgebieten und Universitätsstädten. Für Schulpersonalräte, die bisher bei Einstellungen ein Mitbestimmungsrecht hatten, solle dieses gesetzlich eingeschränkt werden. Der geringer qualifzierte oder gar nicht qualifizierte Vertretungsunterricht werde künftig für Schüler zu einer Belastung. Ungeklärt sei auch, ob etwa bei Abschlussprüfungen die Aufgaben für jene Klassen "leichter" würden, die häufig Vertretung von fachfremden Personen gehabt hätten.

Nach amtlichen Berechnungen fehlten bereits heute 2.000 "richtige" Lehrerstellen, um die Stundentafel und die vorgeschriebenen Differenzierungs- und Fördermaßnahmen zu erfüllen. Auch der Plan den "schulorganisatorisch bedingten Unterrichtsausfall" zu reduzieren, werde sich auf die soziale Atmosphäre und die Lernfreude der Schüler negativ auswirken: denn damit sei nichts anderes gemeint, als den künftigen Wegfall von Klassen- und Studienfahrten, Exkursionen, Projekttage, Konzerte oder Wettbewerbsteilnahme.

Karl-Heinz Battenberg forderte die Einstellung von genügend Lehrern mit fachlicher Qualifikation in Hessen. Er rief abschließend die Alsfelder Demonstranten auf, an der geplanten Großdemonstration am 28. Juni in Wiesbaden teilzunehmen.

Die Argumente einiger Redner und die Stimmung auf dem Alsfelder Marktplatz können Sie selbst sehen und hören - auf dem VIDEO (bitte dazu oben auf den Link neben dem Kamera-Button klicken). Interessierte Leser können am Ende des Artikels auch die Resolution des Kreisschülerrates des Vogelsbergkreises, die kürzlich nach Wiesbaden ging und auf die es bisher keine Antwort gibt, IM WORTLAUT lesen.

"RESOLUTION des Kreisschülerrates des Vogelsbergkreises

Wir, die Schülerinnen und Schüler des Vogelsbergkreises, vertreten durch den Kreisschülerrat, lehnen den „Gesetzentwurf zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung“ (Unterrichtsgarantie plus) sowie die Einführung von allgemeinen Studiengebühren an den hessischen Hochschulen ab.

Wir begrüßen den Ansatz der hessischen Landesregierung, den Unterrichtsausfall an unseren Schulen zu minimieren. Es liegt auch in unserem Interesse, dass der uns zustehende Unterricht auch erteilt wird und wir somit bestmöglich auf unseren Schulabschluss vorbereitet werden. Doch dieser Unterricht muss fachlich fundiert sein. Diesem Anspruch wird die sogenannte „Unterrichtsgarantie plus“ nicht gerecht.

Wir lehnen es kategorisch ab, von „pädagogisch interessierten Personen“ unterrichtet zu werden. Wir sprechen niemandem das Interesse an Schule und Bildung ab, doch sind wir der Überzeugung, dass diesen Personen schlicht die fachliche und didaktische Kompetenz fehlt. Es ist nur schwer vorzustellen, wie beispielsweise ein Vater, der sich zwar für die schulischen Angelegenheiten seines Kindes interessiert, aber nie ein Studium absolviert hat, die Themen des Mathematikunterrichtes der 10. Klasse verständlich und fundiert vermitteln kann.

Auch lehnen wir es ab, dass die Verantwortung dafür, ob und wie Stunden vertreten werden, in Zukunft allein bei der Schulleitung liegt. Das hessische Kultusministerium versucht hier, den schwarzen Peter gegen eine geringe finanzielle Umschichtung schlicht weiterzureichen, um dann bei einem zu erwartenden Scheitern des Projektes die Schuld bei anderen suchen zu können. Mit den voraussichtlichen 40.000 € pro Schuljahr kann kein fachlich fundierter Vertretungsunterricht in alle Jahrgangstufen für ein ganzes Jahr auch nur annähernd gewährleistet werden.

Auch schafft die Möglichkeit des „Einkaufens“ von Vertretungs(lehr)kräften schlicht neue soziale Ungerechtigkeiten in unserem Bildungssystem. Schulen, die von vielen Kindern reicher Eltern besucht werden und somit von einem massiven Spendenaufkommen profitieren, können sich fachlich fundierten Unterricht leisten, wohingegen gerade im ländlichen Raum die Eltern den Vertretungsunterricht übernehmen müssen. So wird Hessen nicht „Bildungsland Nummer 1“, sondern schlicht das Bundesland, wo nicht nach Fähigkeiten sondern nach der Finanzkraft der Eltern gefördert wird.

Auch lehnen wir die Einführung von allgemeinen Studiengebühren zwischen 500 € und 1.500 € an den hessischen Hochschulen ab. Der Zugang zu einer guten Bildung und somit die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Durch Studiengebühren wird von staatlicher Seite vielen Abiturienten der Weg an die Universitäten und Fachhochschulen versperrt, da sie aus wirtschaftlich schwachen Familien stammen. Daher sind Studiengebühren sozial- und wirtschaftspolitischer Unsinn.

Auch zeigen uns die Beispiele aus anderen Ländern, wie Australien oder Österreich, dass Studiengebühren nur die Zahl der Studierenden verringern und somit zu einer elitären Bildungspolitik führen, in der die meisten Menschen schlicht auf der Strecke bleiben.

Auch ist bei der aktuellen hessischen Haushaltslage durchaus die Befürchtung berechtigt, dass die staatlichen Zuwendungen an die hessischen Hochschulen gekürzt werden um den Landeshaushalt zu entlasten. Auch ist es uns vollkommen unverständlich, warum von ausländischen Studierenden, die eine Universität massiv in ihrer Vielfalt bereichern können, 1500 € pro Semester verlangt werden sollen. Dies ist eine schreiende Ungerechtigkeit.

Bildung ist ein öffentliches Gut und es ist Aufgabe einer solidarischen Gesellschaft, dieses Gut für alle zugänglich zu machen, denn „Wissen ist Macht“. Dies wussten bereits die Väter der hessischen Verfassung und regelten daher in Artikel 59, dass in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen der Unterricht unentgeltlich ist. Daher sehen wir die Einführung von allgemeinen Studiengebühren schlicht als verfassungswidrig an.

Die Vogelsberger Schülerinnen und Schüler fordern die hessische Landesregierung sowie den hessischen Landtag auf, auf das „Gesetz zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung“ sowie auf die Einführung von allgemeinen Studiengebühren zu verzichten. Alles andere schadet der Bildungsgerechtigkeit und führt uns zurück in längst überwunden geglaubte Zeiten.

Der Kreisschülerrat des Vogelsbergkreises"

(Patrick Krug, Kreisschulsprecher)

+++





Erkan Ertan ( ASTA Gießen)





Patrick Krug (Kreisschulsprecher)


Daniel May (Grüne Jugend Kassel)



Karl-Heinz Battenberg (Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Staatlichen Schulamt Gießen/Vogelsbergkreis)





Karl Heinz Krug (SPD)



Ernst Richter (Vorsitzender DGB Mittelhessen)

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