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Sind recycelte Medizinprodukte gefährlich für die Patienten oder nicht?

Osthessen-News hat nachgefragt - beim Klinikum Fulda,

09.06.06 - Region

Einmal ist keinmal: Recycelte Medizinprodukte gefährlich für Patienten?

Aus Kostengründen lassen viele deutsche Kliniken medizinische Einmalprodukte wie Katheter oder chirurgisches Besteck wiederaufbereiten, um sie erneut am Patienten einzusetzen. Diese Praxis ist in Fachkreisen allgemein bekannt und wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Am 1. Juni hatten Reporter des ARD-Magazins „Kontraste“ über „Recycling pervers“ berichtet und für Wirbel unter Medizinern, Patienten und Recycling-Firmen gesorgt.

Tenor der Sendung: Wiederaufbereitung von medizinischen Einmalprodukten ist gesetzlich erlaubt und deutlich billiger als der Kauf von Neuprodukten, doch das Risiko für Patienten und Krankenhauspersonal werde in den Kliniken geradezu fahrlässig unterschätzt. „Kontraste“ hatte die Leidensgeschichte einer Patientin geschildert, die bei einer Routine-Operation wegen eines recycelten Einmalprodukts zu Schaden gekommen sein soll. Ein „morscher“ Beatmungsschlauch sei während der Narkose geplatzt. Heute sei die Frau zu 50 Prozent schwer behindert.

Gutachten: Instrumente mit Blut- und Geweberesten verschmutzt

Obwohl die Wiederaufbereiter ein „Höchstmaß an Qualität und Sicherheit“ versprechen, hatte im TV-Beitrag ein Gutachter für Medizinprodukte festgestellt, dass kein einziges der 32 untersuchten Einmalprodukte ohne Mängel war. So fand der Gutachter Instrumente vor, die mit Blut- und Gewebereste verschmutzt, teilweise defekt oder zumindest deutlich in ihrer Funktionalität eingeschränkt waren. Im TV-Beitrag wurde mehrfach der Name der Firma „Vanguard AG“ in Berlin genannt und Ausschnitte aus deren Firmenvideo gezeigt. Unter den begutachteten Instrumenten hatte sich allerdings keines der Firma Vanguard befunden, das bestätigte Marketing Direktor Frank Kamperhoff. Die meisten Kliniken, die von den Kontraste-Reportern nach der Mehrfachverwendung befragt wurden, hielten sich bedeckt. Von 141 Kliniken hatten nur zehn offen angegeben, Einmalprodukte mehrfach zu verwenden – darunter auch das Klinikum Bad Hersfeld.

Heimische Kliniken geben Entwarnung

Dessen Verwaltungsdirektor Heino Stange sagt: „Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Wir haben nach bestem Wissen geantwortet und jetzt wird unsere Ehrlichkeit auf diesem Weg bestraft.“ Tatsächlich lässt das Klinikum Bad Hersfeld von der Firma Vanguard Einmalprodukte wiederaufbereiten. Doch diese Produkte sind laut Stange niemals am Patienten zum Einsatz gekommen, allein durch das Öffnen der Verpackung würden sie unsteril. Demnach sei weder etwas verschmutzt noch das Material beschädigt worden. Das Risiko für die Patienten ist laut Stange gleich Null.

Null Risiko bei der Wiederaufbereitung sieht auch PD Dr. Georg Schrader, Chefarzt des Institutes Krankenhaushygiene des Helios Klinikums Erfurt. Seit knapp zehn Jahren arbeitet der Helios-Konzern mit der Firma Vanguard zusammen. „In dieser Zeit gab es bei uns keinerlei Komplikationen mit aufbereiteten Einmalprodukten“, erklärt der Mediziner. Schließlich arbeite man mit dem Qualitätsführer der Branche zusammen und könne sich auf deren Fachkompetenz und Gewissenhaftigkeit verlassen. Laut Schrader sind aber nicht alle Einwegprodukte zur Aufbereitung geeignet. Material und Kosten spielten dabei eine entscheidende Rolle. Die Helios-Kliniken schätzen die Einsparungen durch das Recycling auf 30 Prozent.

Wie belastbar sind Einmalprodukte wirklich?

Aber wie ist es um die physikalische und chemische Belastbarkeit der Einmalprodukte wirklich bestellt? Der Medizinprodukte-Hersteller „BBraun“ aus dem nordhessischen Melsungen empfiehlt ausdrücklich nur den einmaligen Gebrauch dieser Produkte. Wolfgang Schrammel, stellvertretender Leiter der Unternehmenskommunikation, erklärte auf Nachfrage der Redaktion: „Wir raten von der Aufbereitung und dem mehrfachen Gebrauch der Einmalprodukte ab. Es besteht definitiv ein Sicherheitsrisiko, das von Material zu Material unterschiedlich hoch ist.“ Zur Haftbarkeit erklärt er: „Hersteller von Einmalprodukten können lediglich für die erste Nutzung haftbar gemacht werden.“ Liefere der Aufbereiter ein unsauberes oder beschädigtes Instrument ab, hafte die Firma. Käme es beim Gebrauch recycelter Einmalprodukte zu Komplikationen hafte der Anwender, also der leitende Arzt.

Unterm Strich bleibt also doch ein Risiko? Hygieneexperte Dr. Schrader verneint. „Nur wenn die beauftrage Firma befindet, dass die Produkte für eine Aufbereitung geeignet sind, durchlaufen sie den Aufbereitungsprozess. Das passiert höchstens dreimal und wird für jedes Produkt registriert.“ Das Aufbereitungsverfahren muss den Richtlinien des Robert-Koch-Institutes (RKI), Berlin, entsprechen. Außerdem sei die Firma Vanguard zertifiziert und das Vertrauen in die Qualität ihrer Recyclingprodukte ungebrochen. Insofern müssten sich Patienten der Helios-Kliniken keine Sorgen machen. Hinsichtlich des erschreckenden „Kontraste-Gutachtens mutmaßt Schrader: „Vielleicht gibt es Dienstleister, die Lücken in ihrem Qualitätsmanagement haben. Menschliche Schwächen sind nie auszuschließen.“

Firma Vanguard stinksauer über TV-Berichtersattung

Die Firma Vanguard schließt Schwächen und Lücken in den eigenen Reihen definitiv aus. Auf den Fernsehbericht reagiert man in Berlin mit großer Verärgerung und juristischen Schritten. So wurde eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Fernsehsender musste den Beitrag „Reycling pervers“ unverzüglich von der Homepage nehmen. Darüber hinaus fordert Vanguard die Herausgabe des „Kontraste-Gutachtens“. Von einem „falschen und manipulierten Bild, einer fahrlässigen und inkompetenten Berichterstattung“, spricht Kamperhoff. Die Reporter hätten mit den Ängsten der Patienten gespielt. Die Mitarbeiter der Firma seien sich ihrer besonderen Verantwortung gegenüber Patienten, Anwendern und Kliniken bewusst und würden sich für die Qualität ihrer Produkte verbürgen.

Den hohen Qualitätsstandard der Berliner Firma stellt auch das Klinikum Fulda nicht in Frage, das ebenfalls mit Vanguard zusammenarbeitet. Der Kaufmännische Direktor Stefan Burkhard: „Wir sind ganz gelassen und haben uns bei dem Freiburger Hygieneexperten Prof. Franz Daschner rückversichert.“ Der hätte zur Vanguard-Frage erklärt, es gebe keinen erkennbaren Anlass zur Beunruhigung. Außerdem handele sich nur um eine kleine Gruppe von Medizinprodukten, die zur Aufbereitung außer Haus gingen, so Burkhard.

„Den Großteil der Medizinprodukte bereiten wir im Klinikum selbst auf und unterliegen dabei ebenfalls strengen Vorschriften“, erklärt Dr. Hartmut Krüpe-Silbersiepe, Hygieniker am Klinikum Fulda. Zum Kostenargument befragt, sagt Burkhard: “Es ist richtig, dass sich die Aufbereitung ökonomisch lohnt. Wir können bis zu einem Drittel sparen.“ In konkreten Zahlen ausgedrückt sind das beim Klinikum Fulda 6.000 Euro im Jahr. Dennoch sei das Verhältnis von „Risikofaktor Recycling“ und Ökonomie im Expertenkreis abgewogen worden – mit dem Ergebnis, dass die Patientensicherheit nicht gefährdet sei.

Im Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda will man hingegen den Risikofaktor gänzlich ausschließen. „Wir benutzen unsere Einmalprodukte ein einziges Mal und entsorgen sie dann“, erklärt Michael Liebsch, Leiter Personal, Service & Marketing. Man wolle auf Nummer Sicher gehen und hätte sich, trotz allgemeinen Sparzwangs, gegen die Aufbreitung entschieden.

Aufbereitung legal, aber seit Jahren in der Kritik

Risiko hin, Wirtschaftlichkeit her - Fakt ist, die Aufbereitung von Einweggeräten ist in Deutschland erlaubt. Das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie das Robert-Koch-Institut haben umfassende Regularien zur Aufbereitung von Medizinprodukten geschaffen. Unter anderem wird gefordert, dass die Qualität des aufbereiteten Produktes der eines neuen entsprechen muss. Fakt ist aber auch, dass das Thema Wiederaufbereitung seit Jahren kontrovers in Fachkreisen diskutiert wird. Null Risiko sagen die einen, von einem deutlichen Gefahrenpotenzial sprechen die anderen.

Es gibt derzeit keine gesicherten Daten, die ein erhöhtes Risiko zweifelsfrei belegen würden. Vielmehr Verdachtsmomente, einzelne Studien und das besagte „Kontraste-Gutachten“. Von einem „theoretischen Risiko“ spricht Krüpe-Silbersiepe. Wie viele Krankenhausinfektionen bzw. Komplikationen tatsächlich auf Recyclingprodukte zurückzuführen sind, ist nach Expertenmeinung schwierig zu beurteilen. Handlungsbedarf sieht zumindest das EU-Parlament. Es hat die Mitgliedstaaten vor drei Jahren aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, damit Einmalprodukte nicht wiederverwendet werden.

Und die Moral von der Geschicht?

Wann und ob die deutsche Politik reagiert, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Veröffentlichung des umstrittenen „Kontraste-Gutachtens“. In den Kliniken weht den Hygiene-Experten zumindest im Moment ein deutlich schärferer Wind um die Nase. Eigene Aufbereitungsstandards werden kritisch hinterfragt. In einer Stellungnahme der Helios-Kliniken heißt es: „Wir nehmen den in der ARD-Sendung „Kontraste“ durchgeführten Stichprobentest sehr ernst und werden das Thema sowohl mit unserem Dienstleister als auch in der Fachgruppe Hygiene intensiv besprechen.“ Gleiches gilt für das Klinikum Fulda und das Klinikum Bad Hersfeld.

Die Patienten dürften nach dem TV-Beitrag sensibilisiert sein. Auch wenn die Verantwortlichen in den heimischen Krankenhäusern von einer höchstmöglichen Sicherheit für die Patienten ausgehen, der mündige Patient fragt besser nach. Juristen raten jedenfalls, vor einer OP zu klären, ob recycelte Einmalprodukte verwendet werden. (Dorit Gutowski) +++


dem Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda

bei der Helios-Klinik Hünfeld bzw. der Konzernzentrale und


dem Klinikum Bad Hersfeld.

Die Verantwortlichen meinen: "Es besteht kein Anlass zur Sorge."

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