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Das Thema der Podiumsdiskussion in der FH - Bilder: Stefan Knopp

Viele Stühle wurden hinten noch angestellt: Mit so viel Andrang hatte niemand gerechnet

31.05.06 - Fulda

„Studienzeit ist Lebenszeit“ - Podiumsdiskussion mit Landespolitikern in der FH

Unerwartet gut besucht war heute Vormittag eine Podiumsdiskussion über die von der CDU-Landesregierung geplante Einführung der Studiengebühren. Eingeladen hatte die Gewerkschaft ver.di in Halle 8 der Fachhochschule Fulda. Unter der Moderation von Thomas Markhof kamen die geladenen Sprecher der Landtagsparteien - darunter auch die CDU mit Dr. Norbert Herr - mit ihren jeweiligen Positionen sowie Studierende mit Fragen und Statements zu Wort. Kämpferisch argumentierte der Student Theo Köhler vom AstA Frankfurt gegen die Vorverlegung des Beschlusstermins auf September und für eine „Rückkehr zur Demokratie“ in der hessischen Landesregierung. Herr stand erwartungsgemäß besonders im Kreuzfeuer der rund 300 Studierenden und kam gegen Ende der über zweistündigen Veranstaltung kaum zu Wort.

Nach einer Einleitung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften und ver.di-Vertrauensfrau an der Hochschule Fulda, Sabine Schneider, und einem Grußwort von FH-Präsident Prof. Dr. Roland Schopf hatten die Gäste reihum die Möglichkeit zu Statements. Den Anfang machte die hochschulpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Nicola Beer. Sie verteidigte das Dreisäulenmodell der FDP zur Studienfinanzierung, bestehend aus Landesfinanzierung, Studiengebühren und Drittmitteln wie Stipendien und Darlehen. Zudem sei die FDP für eine Autonomie der hessischen Hochschulen bei der Entscheidung, ob und wie sie Studiengebühren erheben wollen.

Die Vizepräsidentin des Hessischen Landtags und Sprecherin der Grünen-Fraktion für Wissenschaft, Kunst und Kultur, Sarah Sorge, bekräftigte die Gebühren ablehnende Position ihrer Partei. Es müsse „sozial gerecht zugehen“, die Studiengebühren aber verhinderten eine soziale Chancengleichheit, eine Vielfalt in den Berufsperspektiven und eine Zunahme der Zahl „auch volkswirtschaftlich wichtiger Akademiker“, die Deutschland im internationalen Vergleich dringend benötige. Zudem erwähnte und kritisierte sie „seltsame Praktiken“ der Landesregierung wie „geheime Gespräche in Limousinen“ und die Vorverlegung des Beschlusstermins in die Sommerpause, um großen Protesten zu entgehen: Viele Studierende seien dann womöglich im Urlaub.

Ein gewagtes Wahlversprechen gab der SPD-Landtagsabgeordnete Michael Siebel ab: Sollte die SPD die nächste Landtagswahl gewinnen, würde ein eventuell bis dahin bestehendes Gesetz zu Studiengebühren umgehend wieder abgeschafft. Er sprach sich gegen die Idee von Studienkonten aus, weil die Kosten ebenfalls nach dem Studium anfielen, und ging auf regionale Aspekte der Einführung von Studiengebühren ein.

So habe die FH Fulda laut Siebel eine „besondere Struktur“ dadurch, dass die Studentenschaft sehr international sei und auch viele Nicht-EU-Ausländer hier studierten, die von den 1.500 Euro Gebühren pro Semester abgeschreckt würden. Zudem weise die FH viele Fächer auf, die nachher nicht mit einem guten Einkommen aufwarten. Studiengebühren würden dazu führen, dass diese Fächer zugunsten von Studiengängen mit höheren Einkommensaussichten weniger frequentiert würden. Die Gebühren würden also die „Basis der FH zerstören“.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion und Mitglied des Hessischen Landtags, Dr. Norbert Herr, widersprach der Auffassung, die Studierenden würden von den Studiengebühren abgeschreckt. „In zwei Jahren redet keiner mehr darüber“, prognostizierte er. Er verglich die Situation mit Österreich, wo die Zahl der Studienanfänger nicht gesunken, sondern gestiegen sei.

Gegen die Vorstellung der FDP, den Hochschulen die Entscheidung über die Erhebung von Gebühren selbst zu überlassen, führte er an, dass es sich hier um eine gesellschaftspolitische Entscheidung handele, über die die Hochschulen nicht alleine bestimmen sollten. „Wer zahlt, kann auch Leistung von der Hochschule verlangen“, sagte er. Entsprechend würde sich die Qualität des Studiums auch verbessern. Über den Gesetzesentwurf allgemein meinte er, ein solcher Entwurf käme selten so durch, wie er eingereicht würde.

Für ver.di war mit der Fachbereichsleiterin Bildung, Wissenschaft und Forschung, Birgit Braitsch, vertreten. Auf die Frage, warum die Gewerkschaft Position zu den Studiengebühren bezieht, verwies sie auf die unmittelbar betroffenen studierenden Gewerkschaftsmitglieder und mittelbar betroffene Eltern. Sie befürchtete einen Rückschlag in der Entwicklung Deutschlands zur Wissensgesellschaft. Die Bildung sei der Landesregierung scheinbar „furchtbar wenig wert“. Nach Braitschs Rechung würden die Studierendenzahlen mit der Einführung der Gebühren zurück gehen, was zur Kürzung von Mitteln führen und letztlich die an den Hochschulen Beschäftigten treffe. Zum Wahlversprechen der SPD, ein Gesetz zu Studiengebühren unter ihrer Regierung wieder abzuschaffen, äußerte sie sich skeptisch.

Als letzter sprach der Student Björn „Theo“ Köhler vom Asta der FH Frankfurt. Er vermutete, dass die Studiengebühren letztlich zu einer Kürzung der Landesmittel führten, und bezeichnete sie als „Mittel, um Gelder von unten nach oben zu verteilen“. Schulabgänger aus sozial schwächer gestellten Familien würden durch die Einführung der Gebühren sicher nicht motiviert, ein Studium zu beginnen. Er meinte, die 500 Euro seien nur der Anfang, die CDU wolle die Gebühren weiter pushen. Die Erhebung von 1.500 Euro von Nicht-EU-Ausländern bezeichnete er als Diskriminierung ausländischer Studierender: „Sowas nennen wir immer noch Rassismus.“ Bildung leiste einen wichtigen „Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung“, den man nicht durch so hohe Gebühren schmälern dürfe. Diese würden überdies die ohnehin schon hohen Lebenshaltungskosten noch mehr strapazieren. Er zitierte den Titel eines Asta-Seminars, „Studienzeit ist Lebenszeit“, und forderte klar: „Dieses Gesetz muss so weg.“

Nach diesen Aussagen stellten sich die Gäste den Fragen und Statements der anwesenden Studierenden. Seibel erklärte auf Anfrage, der Verstoß gegen die Hessische Landesregierung sei deswegen nur am Rande aufgegriffen worden, weil es sich um ein juristisches, nicht um ein politisches Thema handele. Ein strittiges Thema war die Rückzahlung der finanziellen Unterstützung von Landesseite. Hier musste Herr gegen Kritik an den Zahlungsoptionen gemessen an Einkommensverhältnissen ankämpfen. Junge Ehepaare würden sich überlegen, ob sie sich Nachwuchs leisten könnten, wenn sie Schulden von 15.000 Euro abzuzahlen hätten, meinte Braitsch dazu.

Weitere Themen der Studierenden waren die Kosten für Kindertagesstätten und der „Selbstregulierungsmechanismus“, der in dem Vorschlag der FDP zur Selbstbestimmung der Hochschulen gesehen werden könnte. Ein Mitarbeiter des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes (DAAD) führte sinkende Bewerberzahlen in Bundesländern mit Studiengebühren an. Die Gebühren wurden als „Familiensteuer“ bezeichnet. Ein 71-jähriger Zahnarzt schlug vor, die Gebühren erst nach dem Vordiplom zu erheben, wenn die Studierenden Sicherheit darüber erlangt hätten, ob sie das Studium beenden wollen.

Vor allem Norbert Herr hatte es am Ende in seinem Abschluss-Statement schwer: Einige Studierende wollten ihn am Mikrofon nochmals zur Rede stellen. Der Ausruf einer Studentin, „Wir wollen keine Qualität, wir wollen studieren“, erhielt nur wenig Beifall aus den eigenen Reihen. Nach dem Schlusswort von Walter Hastler vom Datenverarbeitungszentrum der FH Fulda nutzten einige Studierende die Möglichkeit zum Einzelgespräch mit den Landtagsvertretern. (S.K.) +++


FH-Präsident Schopf leitet die Diskussionsrunde ein

Gegen Studiengebühren: Sarah Sorge (Grüne) am Mikrofon, neben ihr Nicola Beer (FDP) und Michael Siebel (SPD)


Schweres Los: Dr. Norbert Herr (CDU) verteidigt die Pläne der Landesregierung zur Erhebung von Studiengebühren

"Dieses Gesetz muss so weg": Björn "Theo" Köhler von der Asta der FH Frankfurt


"Warum sollte Studienausbildung kosten?" Birgit Braitsch von der Gewerkschaft ver.di, die die Podiumsdiskussion veranstaltet hat

Scharfe Kontrahenten in der Diskussion: Herr und Köhler; hinten: Moderator Thomas Markhof


Kein Wort über die Hessische Verfassung? Studenten kamen auch zu Wort

Berichtet von ihren Erfahrungen an US-Universitäten: Start ins Leben mit 30.000 Dollar Schulden und mehr


Vertrat die ausländischen Studierenden: Wie sollen sie sich 1.500 Euro Studiengebühren ohne Förderung vom Land leisten?

Zeit ür Gespräche in aller Ruhe nach der Veranstaltung: Studenten erläuterten Herr ihren Standpunkt

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