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Der FDP-Landesvorsitzende und Fraktionschef im Landtag, Jörg-Uwe Hahn, hielt eine programmatische Rede... - Fotos: gw

...vor den rund Teilnehmern des Landesparteitags...

06.05.06 - Petersberg

Große Mehrheit lehnte eine Auflösung der IHKs ab - FDP-Landesparteitag

Einen "Parteitag der Zufriedenheit" könnte man das heutige Treffen der knapp 300 hessischen Freidemokraten im Petersberger Propsteihaus nennen: nach langer Vorbereitung und rechtzeitig vor dem FDP-Bundesparteitag am 13. und 14. Mai in Rostock hat sich die Hessen-FDP gegen eine "Art Privatisierung" der Industrie- und Handelskammern ausgesprochen. Nach einer ebenso engagierten wie kontroversen Debatte beschloss die überwältigende Mehrheit der Delegierten, am Prinzip der "Körperschaft öffentlichen Rechts" und der Pflichtmitgliedschaft für IHKs und Handwerkskammern festzuhalten.

Die Befürworter sehen darin die beste Möglichkeit zur Selbstverwaltung der Wirtschaft, mahnten aber gerade die hessischen IHKs zu einem echten Reformwillen. Dazu beschlossen die Politiker auch gleich ein Bündel von Verbesserungsvorschlägen. Diese Position will die FDP Hessen auch beim anstehenden Bundesparteitag offensiv vertreten.

Mehr als zwei Drittel der Delegierten (188 von 272 Delegierten) lehnten zuvor einen Antrag der Nachwuchsorganisation Junge Liberale ab, die eine Auflösung der jetzigen IHKs zugunsten privatrechtlich organisierter Vereine sowie die Abschaffung von Pflichtmitgliedschaft und Zwangsbeiträgen gefordert hatten. Die "JuLis" hatten für den Entscheid eine schriftliche Abstimmung durchgesetzt.

Kontroverse Debatte: Scharfe Kritik an Kammerzwang für Unternehmen

Vor dem Beschluss hatte es eine kontroverse, teils sehr emotionale Debatte gegeben. Die Freidemokraten, die eine Auflösung der bestehenden Kammern forderten - JuLi-Landesvorsitzender Lasse Becker, Frank Jäger, Ralf Arnemann, Gabriele Müller -, betonten, Kammern leisteten einen wichtigen Beitrag für die Wirtschaft. Doch die Organisationsform und die Zwangsmitgliedschaft seien nicht mehr zeitgemäß und widerspreche dem Freiheitsprinzip der Liberalen. Auch zahlreiche Gewerbetreibende kritisierten den Zwang zur Mitgliedschaft und Beiträgen. Immer wieder auch trete das Problem von Doppelmitgliedschaften auf.

Wenn sich Kammern wie IHK und Handwerkskammern als Dienstleister verstünden, könnten sie sich ja auch dem Wettbewerb auf dem freien Markt stellen und sich um freiwilige Mitglieder bemühen. Wenn es das System noch nicht gebe und eingeführt werden solle, würde man diesen Zwang als illiberal ablehnen - so wie ja auch niemand verlange, dass alle Autofahrer im ADAC eintreten oder alle Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied sein müssten. Vom Staat beliehne privatrechtliche Vereine folgten dem liberalen Credo von "mehr Privat und weniger Staat", daher sei es ein marktwirtschaftlicher Weg, "Kammern in die Freiheit zu entlassen".

"Freidemokraten können zwischen Zwang und Pflicht differenzieren"

Die Befürworter des Antrags des FDP-Landesvorstandes - Europaabgeordneter Dr. Wolf Klinz, Klaus Schuchhardt, MdB Heinz Kolb, Dieter Posch, Michael Denzin, Klaus-Jürgen Hoffie, Ruth Wagner - plädierten eindringlich dafür, den Status der IHKs als Körperschaften des öffentlichen Rechts beizuhalten. Bei einer Auflösung und Umwandlung in privatwirtschaftlich organisierte Einheiten würden künftig die Wirtschaftsunternehmen nicht mehr in ihrer ganzen Vielfalt vertreten.

Ein Wegfall der Pflichtmitgliedschaft und daraus folgend das Werben um freiwillige Mitgliedschaften könnte dazu führen, dass von so veränderten IHKs vor allem die Partikularinteressen großer und finanzkräftiger Mitglieder verträten. Den Vergleich mit ADAC und Gewerkschaften nannte Dieter Posch "billige Polemik" und Ruth Wagner wies darauf hin, dass die FDP sehr wohl unterscheiden könne zwischen Zwang und Pflicht. Aus gutem Grund gebe es in Deutschland ja auch die Pflicht zur Autoversicherung oder zur Krankenversicherung - dies diene allen Bürgern.

Gesamtvertretung der Wirtschaft und duale Ausbildung wären gefährdet

Außerdem sei bei einer Rechtsfornänderung die große Aufgabe der Fachaufsicht über die duale Berufsausbildung gefährdet. Wenn "akkreditierte Kammern" - wie von den JuLis vorgeschlagen - vom Staat mit hoheitlichen Aufgaben "beliehen" werden sollten, werde die Selbstverwaltung der Wirtschaft geschwächt - denn bei einer solchen Konstruktion könne der Staat den Kammern wesentlich mehr vorschreiben und hereinreden als heute.

Alle Befürworter sprachen sich gleichzeitig für verstärkte Reformen in den IHKs aus und appellierten an die Kammern, Kleinbetriebe aus der Pflichtmitgliedschaft zu entlassen und beitragsfrei zu stellen. Gleichzeitig solle das Gesamtinteresse der Wirtschaft noch stärker artikuliert und mehr Transparenz, etwa durch öffentliche Vollversammlungen, geschaffen werden - bei Überwindung ineffizienter Strukturen.

In seiner programmatischen Rede hatte der Landesvorsitzende der Liberalen und Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jörg-Uwe Hahn, einiges "Zufriedenstellendes" zu berichten. So werde derzeit bereits die Frage möglicher Koalitionen nach der Landtagswahl 2008 behandelt und die FDP sowohl von CDU wie von SPD umworben. Dies bedeute: in der Landespolitik werde nicht mehr mit einer absoluten Mehrheit für die CDU gerechnet. Es sei jedoch noch zu früh ("...da muss noch viel Wasser die Fulda runterfließen") eine Koalitionsaussage zu machen: "Genießen wir das Gefühl, aber kommentieren es nicht weiter."

Hahn-Vorschlag: Kumulieren und Panaschieren auch bei Landtagswahlen

Sehr zufrieden zeigte sich der Landeschef mit den Erfolgen der FDP-Bewerber bei den Kommunalwahlen am 26. März dieses Jahres und wertete die Gesamtsteigerung im Land von 5,2 auf 5,8 Prozent und herausragende Einzelzahlen als Ermutigung zum noch stärkeren Bemühen um politische Mitverantwortung in Städten, Gemeinden und Kreisen. Hahn bekräftigte in diesem Zusammenhang das Festhalten der FDP an der Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren bei den Kommunalwahlen und warnte die SDP: "Die FDP hat das Persönlichkeitswahlrecht eingeführt - wir werden es uns nicht von frustrierten Genossen der SPD Hessen-Süd nicht kaputt reden lassen."

Wer mit der mangelhaften Wahlbeteiligung unzufrieden sei, solle eher zusätzliche Möglichkeiten der Beteiligung für Bürger suchen, statt Demokratie wieder einzuschränken. In diesem Zusammenhang schlug der FDP-Chef vor, das System der Persönlichkeitswahl durch Kumulieren und Panaschieren auch für Landtagswahlen zu überlegen und zu diskutieren.

CDU oder SPD als Partner? "...wie die Wahl zwischen Pest und Cholera"

Beispiele liberaler Unzufriedenheit gab es jedoch in Petersberg auch: von Jörg-Uwe Hahn etwa in Bezug auf die angekündigten, aber ausbleibenden grundlegenden Reformen der Renten, Steuern und des Gesundheitswesens durch die große Koalition in Berlin. Hahn warf dem einstigen Koalitionspartner im Bund, der CDU, vor, sich inhaltlich von einer Politik der Vernunft verabschiedet zu haben. Und die SPD betreibe weiter ihre unvernünftige Politik der Staatsgläubigkeit, Gewerkschaftsmacht und verschuldeten Sozialsysteme. Eine Koalitions-Entscheidung wäre deshalb für die Liberalen "....immer mehr die Wahl zwischen Pest und Cholera".

Die FDP solle sich verstärkt auf ihre Wurzeln besinnen und auf die Einhaltung ihrer drei Grundprinzipien konzentrieren: Freiheit vor Gleichheit, Privat vor Staat, Markt für Bürokratie. Dies erfordere in der Landespolitik verstärkt das Bemühen um Orientierung, Substanz und Qualität. Ziel sei es, bei den Landtagswahlen 2008 so stark zu seien, dass die FDP in Hessen wieder Regierungsverantwortung übernehmen können. Im Bereich Wirtschaftspolitik sprach sich Hahn für ein 6-Punkte-Programm aus.

Diese Forderungen beinhalteten unter anderem den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens, die Erhaltung des "hundertprozentig sicheren, kostengünstigen" Atomkraftwerks Biblis A und B sowie unternehmerische Freiheit im hessischen Sparkassenrecht. Hahn lehnte dagegen eindeutig die geplante Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent und die mittelstandsfeindliche Vorauszahlung der Sozialkosten ab. Um zwei Themenbereiche - Bildungspolitik und die Stärkung der Familie - wolle sich die FDP künftig noch stärker kümmern.

Ruth Wagner: "Ich lehne Studiengebühren ab - mein Leben lang"

Persönliche Kritik in deutlichen Worten übte die frühere Parteivorsitzende und Ministerin Ruth Wagner an der Zustimmung der FDP Hessen zur Einführung von Studiengebühren. Wagner begründete ihre "Minderheitsmeinung" vor dem Parteitag mit der besseren Alternative des - von der FDP vorgeschlagenen und lange entwickelten - Modells der Bildungsgutscheine. Außerdem werde durch Studiengebühren eine "gefährliche Schieflage" bei der sozialen Herkunft der Studierenden entstehen. Es gebe zahlreiche Menschen, denen es neben der Sicherung der Familienexistenz nicht möglich sei, einen oder sogar mehrere Studenten zu unterstützen.

Man erfahre auch nichts von einem geplanten ausgewogenen Stipendiensystem, das bei Einführung von Studiengebühren nötig sei. "Ich werde mein Leben lang dafür eintreten, dass es keine Studiengebühren gibt", sagte Ruth Wagner am Ende nachdrücklich und bekam hörbar nur von einem Teil der Delegierten Applaus. Damit stand sie im Widerspruch zum amtierenden Landesvorsitzenden Jörg-Uwe Hahn, der es in seiner Rede als unverständlich bezeichnet hatte, dass Eltern für Kindergärten Gebühren zahlen müssten, ein Hochschulstudium für den Nachwuchs jedoch gebührenfrei sei.

Leitantrag zur Familienpolitik wurde nicht verabschiedet - verschoben

"Ein weiteres Kompetenzfeld" wollten sich die Liberalen heute in Petersberg erarbeiten: die Familien- und Kinderpolitik. Das acht Seiten umfassende "Positionspapier Familienpolitik" wurde zwar begrüßt, aber nicht verabschiedet, sondern an den Landesfachausschuss überwiesen, um zusätzliche Anträge noch einzuarbeiten. Bestandteil des Papiers ist auch ein Punkt, auf den Jörg-Uwe Hahn in seiner Rede einging: die "Subjektförderung" der Jüngsten durch "Kinderbetreuungsscheine".

Mit solchen Scheinen vom Staat sollten sich Eltern auf dem "Markt" ihre gewünschten Formen der Kinderbetreuung aussuchen - und als Effekt müssten sich Kommunen oder freie Träger wie die Kirchen mit ihren Krippen und Kindergärten dann nach den Interessen ihrer "Kunden" richten und nicht die Anpassung von Eltern an die eigenen Interessen verlangen. Bisher hätten die hessischen Liberalen "kein besonders positives Image" bei Familien- und Kinderpolitik. Das Profil könne man schärfen - unter anderem mit der - bisher nur von der FDP vorgeschlagenen - Einführung eines verpflichtenden Vor-Schuljahres.

Gabriele Weigand-Angelstein +++


...im blau-gelb geschmückten Petersberger Propsteihaus - auf die Leinwand wurden keine Reden übertragen, sondern es war abwechselnd das Wahlkampfplakat "Es wird Zeit" oder Ereignisstichworte wie "Antragsberatung" zu sehen

Auf der Tagesordnung standen vor allem eine liberale Bilanz nach der Bundestags- und der Kommunalwahl...


....und nach Hahns Rede eine Aussprache sowie Beratung und Abstimmung über Anträge

Der Fuldaer Kreisvorsitzende Jürgen Lenders und Fraktionsvorsitzende im Fuldaer Stadtparlament, Jürgen Lenders auf dem Podium


Mit klaren und teils harten Worten griff Dieter Posch, ehemaliger hessischer Wirtschaftsminister, in die Debatte zu einer Rechtsformänderung für Industrie- und Handelskammern ein

In einer sachlichen, doch bewegenden Stellungnahme erklärte die "Grand Dame" der FDP, Ruth Wagner, warum sie die Einführung von Studiengebühren ablehnt


Die "Stimmensammler" wurden herbeigewunken...

Die Jungen Liberalen hatten eine schriftliche Abstimmung zur Frage der IHKs durchgesetzt


....aber das Ergebnis fiel zur Zufriedenheit von Jörg-Uwe Hahn und Dieter Posch aus: überwältigende Mehrheit für den Vorschlag des Landesvorstands

Während des Parteitages nutzten viele Delegierte den Gang zur "Verpflegung" neben dem großen Saal für Meinungsaustausch

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