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Franz Müntefering sprach knapp eine Stunde vor den 850 Mitgliedern der "Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung" (aba) in Fulda - Fotos: Max Colin Heydenreich

Noch stärkeren Gedankenaustausch vereinbarten heute der Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering (rechts) und Dr. Boy-Jürgen Andresen (links), der Vorstandsvorsitzende des Verbandes aus Wiesbaden

04.05.06 - Fulda

Nur Eigenvorsorge sichert Wohlstand im Alter - MÜNTEFERING bei aba

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering hat Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften dazu aufgerufen, ein neues Bewusstsein für „organisierte Solidarität“ zu fördern. Müntefering sagte heute auf der Bundestagung des Verbands „Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung" (aba) vor 850 Rentenfachleuten aus ganz Deutschland, gerade im Bereich der Alterssicherung sei das Ansparen in einer Gemeinschaft wichtig. Kollektive Rentenmodelle in den Unternehmen seien sicherer und zukunftsträchtiger als reine Individualvorsorge. In Deutschland herrrsche auch die falsche Vorstellung, Solidarität sei eine persönliche Sache des einzelnen Bürgers nach dem Prinzip „Sankt Martin teilt den Mantel“.

Müntefering widersprach damit in Fulda auch bestimmten politischen Position in Berlin: "Teile der Politik sagen >Jeder soll nur für sich selbst sorgen, das ist alles in Ordnung<. Ich bin gegen diese Einstellung - es ist besser, in einer Gemeinschaft für alle zu sorgen," erklärte der Minister. Und nannte ein Beispiel aus dem Sauerland früherer Jahre: da sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, Kindern zu besonderen Anlässen - Konfirmation, Firmung, Volljährigkeit - einen Bausparvertrag zu schenken. Damit sei schon in den Generationen die Eigenverantwortung und das Ansparen im eigenen Interesse weitergegeben worden.

Zentrale Aufgabe der Koaltion: Sicherheit und Stabilität fördern

Als eine der zentralen Aufgaben der großen Koalition nannte Müntefering die Wiederherstellung von Sicherheit und Perspektiven für die Bürger in punkto Altersversorgung. "Wir müssen im Kern einig sein, damit die Menschen wissen, dahin geht die Reise oder das ist eine Investition für meine Sicherheit". In diesem Zusammenhang erklärte der Vizekanzler, es sei falsch, wenn Parteien nur überlegten, wie sie über die nächsten 3 Jahre kommen könnten. Ebenso falsch sei es, in Wahlkämpfen anzukündigen, wenn man selbst "dran komme", werde man alles um 180 Grad herumdrehen. Das schaffe keine Stabilität und verunsichere die Bürger nur.

In einer Zusammenfassung schilderte der Arbeitsminister die faktische Lage, auch vor dem Hintergrund der Diskussion um den späteren Renteneintritt. Während 1967 noch für einen Rentner durchschnittlich 10 Jahre lang Rente gezahlt wurde, seien es derzeit bereits 17 Jahre. Das Dilemma: die Lebenserwartung der Rentner steige, dagegen würden die Lebensarbeitsjahre sinken - etwa weil Jobs für junge Leute fehlten oder heute sehr viel mehr studierten als früher - und gleichzeitig immer weniger Kinder geboren. Dieses Dilemma sei in Zahlen auszudrücken: 2004 kamen 3,4 reguläre Arbeitnehmer auf 1 Rentner, im Jahr 2020 müssten 2,1 Arbeitnehmer für 1 Rentner aufkommen.

Die Ablehnung älterer Arbeitnehmer sei eine falsche Mentalität, die aber auf die achtziger Jahre zurückgehe. Damals sei die Zahlung des Arbeitslosengeldes für über 58-jährige auf 32 Monate erhöht worden. Dies habe dann dazu geführt, dass über 55-jähige zunächst freigestellt wurden, dann arbeitslos waren und ab 60 Jahren in die Frühverrentung gingen - und zu der Vorstellung führte, über 55-jährige seien zu nichts mehr zu gebrauchen. Dies habe zu "erheblichen Verwerfungen" geführt, die man heute wieder gerade rücken müsse.

Münteferings Rechenexempel: 43 von viel oder 46 von wenig?

Der Minister sprach sich gegen eine weitere Zuweisung aus den Steuereinnahmen für die Renten aus: bereits heute gingen 78 Milliarden Euro aus dem Steuertopf in die Renten, das seien etwa ein Viertel des gesamten Staatshaushaltes. Deshalb müsse das Renteneintrittsalter steigen und die Rente mittelfristig von derzeit 60 Prozent des letzten Nettolohns auf 46 oder 43 Prozent sinken. Bei der Diskussion darum solle man sich nicht an den Zahlen 46 oder 43 festbeißen: "Man muss kein Mathematiker sein, um festzustellen: 43 Prozent von viel ist besser als 46 Prozent von wenig", sagte Müntefering zur Erheiterung der Fachleute. Er sprach damit die Mahnung aus, über die Rentenproblematik und sozialen Sicherungsfragen nicht die "Wohlstandssicherung" in Deutschland zu vergessen. "Wenn kein Wohlstand da ist, gibt es auch nichts zu verteilen".

Deshalb sei es heute so notwendig, trotz finanzieller Enge in die Bereiche Bildung, Forschung oder Technologie zu investieren. Es sei eine große Gefahr, wenn 12 Prozent der Kinder ohne Schulabschluss abgingen. In diesem Zusammenhang sprach sich der Vizekanzler auch gegen die "Linie der Niedriglöhne" aus. "Das bringt uns nicht voran - billig ist hier der falsche Weg. Deutschland ist ein Hochleistungsland - und ein Hochlohnland, das müssen Politik und Tarifpartner auch wollen," betonte der Sozialdemokrat.

Gesetzliche Rente sichert nur Kernversorgung - keinen Wohlstand

Betriebliche Altersversorgungen seien - gerade angesichts von Sicherheit, Motivation der Arbeitnehmer und sozialer Verantwortung der Unternehmen - kein "Sahnehäubchen obendrauf", sondern sollten noch mehr zur Selbstverständlichkeit werden. Der Minister sprach sich auch dagegen aus, sich in der Debatte um „Mitarbeiterbeteiligung“ zu verzetteln. Statt einer Beteiligung an Gewinn oder Kapital sei es wichtiger, Mitarbeiterbeteiligung im Bereich Alterssicherung einzubringen. Abschließend appellierte der Arbeitsminister an die Tarifparteien, künftig keine Tarifabschlüsse ohne Einbeziehung betrieblicher Altersversorgung mehr auszuhandeln.

Die Arbeitnehmer forderte Müntefering auf, für die eigene Alterssicherung zu planen und dazu an erster Stelle in den Betrieben nachzufragen. „Alle müssen wissen, dass die gesetzliche Rente nur noch für eine Kernsicherung ausreicht - und keinen Wohlstand im Alter mehr ermöglicht“. Gleichzeitig lehnte der Arbeitsminister aber eine "obligatorische Zusatzversicherung zur Altersversorgung" ab. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass sich dann die Politik aus der Förderung zurückziehe. Gerade dadurch aber würden die unteren Einkommensgruppen benachteiligt, die bereits heute schon unterdurchschnittlich an der Eigenvorsorge beteiligt seien.

Andresen: "Können stolz auf sichere Betriebsrenten sein"

Der Vorstandsvorsitzende des eingetragenen Vereins "Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung" (aba), Dr. Boy-Jürgen Andresen (Wiesbaden) begrüßte den Berliner Kabinettsbeschluss vom gestrigen Mittwoch, den Pensionssicherungsverein - der allen Pensionskassen bei Insolvenzen Schutz bietet - auf Kapitaldeckung umzustellen. Damit werde die Insolvenzsicherung finanziell noch gestärkt. Entgegen der „Neigung zum Lamentieren“ könnten die Deutschen auf ihre Sicherungssysteme immer noch stolz sein: so hätten hier seit 1974 trotz Insolvenzen jeder Berechtigte auch seine Betriebsrente erhalten, während etwa in England Betriebsrentner nach Firmenpleiten leer ausgegangen seien. Der Erfolg der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland sei auch ein Ergebnis der seit 60 Jahren beständigen Arbeit der aba, der kein Lobbyverband sei, sondern Facharbeit für alle in der Politik Tätigen leiste, Konsequenzen, aber auch Lösungswege aufzeige.

Andresen erklärte nach dem Besuch des Bundesministers, auch für den Verband sei eine nachhaltige Politik des Bundes und ein gutes Miteinander gerade angesichts der Finanzprobleme wichtig. Der von Münteferting geprägte "schöne Begriff" der "organisierten Solidarität" sei eigentlich bei den Betriebsrenten schon "gelebte Praxis" - die Betriebsrente sei nämlich in den deutschen Unternehmen das am wenigsten umstrittene Thema.

Positiv sei beim Verband die "große Nüchternheit und Ehrlichkeit" der Münteferingschen Aussagen angekommen. Erfreut hätten die Experten vermerkt, dass der Vizekanzler "keine Zwangsrente will", obwohl der unter starkem politischen Druck vreschiedener Gruppen stehe. Es sei auch zu begrüßen, dass der Bundespolitiker ausdrücklich weiteren Meinungsaustausch angekündigt habe und sich also "des ganzen Sachverstands unserer Mitglieder" bedienen wolle.

Der Minister war eigens aus Berlin - über Frankfurt - nach Fulda geflogen, um vor 850 Rentenfachleuten der aba eine Stunde zu sprechen. Dies wurde auch als eine Würdigung des Fachverbandes gewertet. Von den 1.400 Mitgliedern, darunter alle großen deutschen Unternehmen, Träger betrieblicher Altersversorgung, Pensionskassen, Direktversicherer sowie Spitzenverbände von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, werden 15 Millionen Deutsche mit insgesamt 400 Milliarden Versorgungskapital im Alter gesichert. Derzeit haben 46 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung.

Was empfehlen Experten in punkto "Eigene Altersversorgung"?

Und was empfehlen die Experten den Bürgern in Sachen Altersvorsorge? aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann (Heidelberg) sagte: "Wer heute nicht vorsorgt, wird im Alter darben. Ich stelle oft fest, dass die Leute sich erst im fortgeschrittenen Alter Gedanken machen - aber der Zeitfaktor spielt eine große Rolle. Wer zu lange wartet oder erst mit 40 bis 50 Jahren sucht, ist schon zu spät dran. Oft ist Vorsorge dann kaum noch zu finanzieren." Und der Rechtsanwalt und Unternehmensberater Dr. Boy-Jürgen Andresen aus Wiesbaden, der seit 30 Jahren im Vorstand der aba ehrenamtlich das gesamte Feld der Altersversorgung beobachtet, gibt den Tipp zum gründlichen Vergleich verschiedener Quellen: "Jeder sollte für Information und Konzeption seiner Altersvorsorge genauso viel Zeit aufwenden, wie für den Kauf eines Autos oder die Planung einer Einbauküche. Und: in erster Linie sollten die Möglichkeiten und Ansprüche für betriebliche Altersversorgungsmodelle ausgeschöpft werden." +++


Der Rechtsanwalt und Unternehmensberater Dr. Andresen ist stolz darauf, dass die aba mit ihrem "geballten Sachverstand" und neutraler Ausrichtung bei allen Beteiligten gefragt ist

aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann (rechts) nahm den Minister im Kongresszentrum Esperanto in Empfang. Müntefering war das Thema so wichtig, dass er... geflogen...


...extra aus Berlin nach Frankfurt und dann per Auto nach Fulda gefahren war

aba-Vorstandsvorsitzender machte klar: "Wer sich heute nicht um die nötige eigene Altersvorsorge kümmert, hat später das Nachsehen"


850 Fachleute für Betriebsrenten absolvierten in Fulda ein Mammutprogramm: neben dem Müntefering-Referat gab es gestern und heute dutzende von Fachvorträgen...

... mit Themen aus den drei Hauptbereichen Arbeitsrecht, Steuerrecht und Kapitalanlagen


Zu den Mitgliedern des Verbandes zählen Einzelpersonen und Experten ebenso wie alle großen deutschen Unternehmen, Pensionskassen, Direktversicherer und Spitzenverbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber

In der großen Esperantohalle wurde das Bild des Ministers für alle gut sichtbar auf eine Riesenleinwand projiziert


Der Minister machte bei den Betriebsrentenexperten einen guten Eindruck: mit klaren Worten, nüchternem Stil und präziser Analyse

Gespannte Aufmerksamkeit im Publikum - die akustische Verständlichkeit auf den Seitenflügeln rechts und links des Podiums ließ allerdings zu wünschen übrig


Notizen machen vom Minister-Vortrag....

Ganz anders als im Wahlkampf präsentierte sich der Vizekanzler heute...


...in sachlicher Atmosphäre den Tagungsteilnehmern

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