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- Bilder: Max Colin Heydenreich

20.01.06 - Fulda

Moderne "Donar-Eichen", tolle Zahlen - Mutmachender IHK-Jahresstart

Positive Zahlen für den Wirtschaftsraum Fulda, der Appell an unternehmerische und bürgerliche Furchtlosigkeit angesichts der künftigen Entwicklungen, deutliche Kritik an den Bundespolitikern aller Parteien und die Forderung nach "Mut zu wirklichen Reformen" standen heute im Mittelpunkt des IHK-Neujahrsempfanges. Der Fürstensaal des Stadtschlosses war mit rund 600 Gästen wieder vollbesetzt - und der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda, Helmut Sorg, wertete die große Resonanz zugleich als Anerkennung der IHK-Arbeit und als Verpflichtung, die Anstrengungen der Kammer zum Wohl der heimischen Wirtschaft und Region noch weiter zu intensivieren.

Zu den vielen Gästen gehörten unter anderem zwei Mitglieder der Landesregierung, der ehemalige Fuldaer OB und heutige hessische Wirtschaftsminister Dr. Alois Rhiel sowie der Finanzstaatssekretär und langjährige IHK-Präsidiale Dr. Walter Arnold. Eigens angereist waren auswärtige Gäste: der Kasseler Regierungspräsident Lutz Klein, der neue Hauptgeschäftsführer der IHK Frankfurt Matthias Gräßle, der Präsident der Handwerkskammer Kassel, Gerhard Repp mit Hauptgeschäftsführer Peter Göbel sowie der Wirtschaftspublizist und Fernsehautor Günter Ederer.

Patrick Adenauer: "Bischofskonferenz könnte auch öfter mal in Köln tagen..."

Besonders begrüßt wurde der Gastredner des IHK-Neujahrsempfanges, der Enkel des Ex-Bundeskanzlers Konrad Adenauer: Dr. Patrick Adenauer leitet - zusammen mit seinem Bruder - das Kölner Unternehmen Bauwens und ist Präsident der "Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer Deutschlands" (ASU). Adenauer - dessen Großvater 1954 zum Bonifatiusjubiläum nach Fulda kam - begann mit einem Scherz. Als "Vertreter einer rheinischen katholischen Familie" freue er sich über seinen Besuch in Fulda, dem Tagungsort der deutschen Bischofskonferenz, fügte aber an: "...wenngleich ich meine, dass diese (die Bischofskonferenz, d.Red.) durchaus auch mal öfter in Köln, dem zweiten Rom des nordalpinen Raums, tagen könnte".

In seiner Rede warf der Unternehmer unter dem Motto "Deutschland nach dem Regierungswechsel" einen Blick auf die "Lage der Nation", die er mit vielen Fakten untermauerte und sogar mit dem Missionsauftrag des heiligen Bonifatius im 8. Jahrhundert verknüpfte. Zur Ausgangssituation erklärte Adenauer, noch vor wenigen Jahren habe die deutsche Wirtschaft über schlechte Erträge und Basel II geklagt. Heute gebe es im Land wieder einen hohen Exportüberschuss, zunehmend erfolgreich international agierende Unternehmen aus Großindustrie und Mittelstand. Die Unternehmensgewinne stiegen, ausländische Investoren (Heuschrecken) seien nicht nur an den 450 "Hidden Champions" interessiert, sondern kauften auch hundertausende Wohnungen. "Offensichtlich sind wir wettbewerbsfähig geworden. Deutschland ist en vogue. Paradox ist aber, dass der deutsche Arbeitsmarkt von diesen Erfolgen unberührt bleibt", stellte Adenauer fest. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze sinke kontinuierlich. Deshalb würden die Sozialsysteme immer unbezahlbarer.

"Schade, dass die Politiker das 65-Milliarden-Loch erst plötzlich entdeckt haben"

Einerseits wirtschaftlicher Erfolg, andererseits ruinöser Wettbewerb auf dem Binnenmarkt, 40.000 Firmenpleiten, die Investitionsrate weltweit am niedrigsten, keine neuen Arbeitsplätze. Diese paradoxe Situation nenne Hans-Werner Sinn "das deutsche Rätsel". Und in dieser festgefahrenen Lage wisse man noch nicht, was von der Großen Koalition und von der Bundeskanzlerin wirklich zu erwarten sei. Mit einer gewissen Ironie vermerkte Adenauer, es sei "schade", dass die alten und neuen Regierenden ein Loch von 65 Milliarden Euro Strukturdefizit "plötzlich entdeckt" hätten und "schade", dass die Politiker "nur etwas sparen wollen", sich an die großen Ausgabenposten im Bereich der Sozialtransfers nicht heranwagten. Und da kam bei dem Unternehmer und Wirtschaftsvertreter Bonifatius ins Spiel: der habe bei diversen Stämmen eine heidnische "Donar-Eiche" nach der anderen fällen lassen. "Was passierte, wann immer eine Donar-Eiche gefällt wurde? Unsere heidnischen Landsleute dieser Gegend warteten ab: Ob sich Donar für die Zerstörung seiner Eiche rächen würde. Jener Donar aber reagierte seinerzeit nicht. Und war entzaubert. Aus Heiden wurden Christen. Donar war perdu. So geht das."

Als "Donar-Eichen" der Gegenwart bezeichnete Adenauer etwa die "irrige Annahme", durch weniger Arbeit Arbeitsplätze schaffen zu können. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders hätten die deutschen Lohnkosten unter denen der westlichen Nachbarn und der USA gelegen. Schon seit 1970 liege man hier aber darüber - bis heute und das immer noch deutlich. Seltsamer Weise sei auch seit 1970 die Arbeitslosigkeit in Deutschland quasi erst entstanden und habe in 3 Schüben seither dramatische Ausmaße angenommen. Weitere moderne Tabus seien die trügerischen, mit Krediten scheinfinanzierten Verheißungen des Wohlfahrtsstaates, die "Götzen des Umlagesystems", die unter immensen Zuschüssen aus der Steuerkasse letztes Standvermögen zeigen. Auch die stets wachsenden Schulden, der "Mythos Umverteilung von unten nach oben" oder das "Märchen von den, seit 10 Jahren vom Gesetzgeber verwöhnten Unternehmer" gehörten dazu.

"Wir Aufklärer müssen moderne Donar-Eichen fällen"

Zurück zum Bild von den „Donar-Eichen", sagte Adenauer, all diese "Lügengespinste der Barbaren" müssten die ‚Missionare’ oder auch, uns mehr gemäß ‚Aufklärer’ fällen. "Wer Deutschland wieder für Eigenverantwortung, Optimismus und echtes Wirtschaftswachstum - nicht ein schuldenfinanziertes - gewinnen will, wer unser ‚verwildertes’ Deutschland in diesem Sinne missionieren will, muss an alle diese

heidnischen Eichen heran. Der braucht die Axt des Missionars. Paul Kirchof war übrigens ein solcher Missionar, leider hat er seine Friesen gefunden. Aber er hat ja auch nicht mit der Axt gearbeitet, sondern mit sanften Worten. Trotzdem, wir müssen uns wieder klar werden, wo die wahren Kraftfelder Deutschlands liegen. Es geht nicht ohne den Mittelstand: Die Familienunternehmen als eine der wirklich trägenden Säulen der deutschen Volkswirtschaft, die über Generationen eine Verbindung aus Spezialwissen und Innovationen pflegten, einen "spirit" bildeten.

"Wer Deutschland wieder nach vorne bringen will, der muss sich bei diesen Menschen, den mittelständischen Unternehmern und ihren Mitarbeitern, Rat holen. Wer Zukunftsfähigkeit wieder herstellen will, der muss bei uns zuhören", empfahl Adenauer. Eine Umfrage unter ASU-Unternehmern habe ergeben, dass folgende 6 Dinge als erstes zu leisten seien, damit es losgehen könne: 1. Vereinfachung des Steuersystems - wohlgemerkt Vereinfachung, nicht Steuersenkung. Wir wissen auch, dass der Staat seine wichtigen auch sozialen Aufgaben finanzieren muss. 2. Liberalisierung des Kündigungsschutzes und 3. gesetzliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse im Tarifrecht. Beides Maßnahmen zur dringend benötigten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Ohne solche Reformen werden die Arbeitslosen nicht von der Globalisierung profitieren. 4. Umfassender Subventionsabbau. 5. Umfassender Bürokratieabbau. 6. Senkung der Staatsquote.

"Hat Angela Merkel den Mut, die Axt in die Hand zu nehmen?"

Diese Forderungen habe seine Arbeitsgemeinschaft im Wahlkampf formuliert, im Regierungsprogramm fänden sich jedoch allenfalls Vorschläge für einen "Bürokratie-TÜV" oder Abbau einzelner Subventionen. Ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden über vier Jahre werde kaum helfen. Die deutsche Einheit sei das größte Investitionsprogramm der jüngeren Wirtschaftsgeschichte gewesen - mit dem Ergebnis gigantischer Staatsverschuldung und hoher Arbeitslosigkeit. "Ziellosigkeit und mangelnde Nachhaltigkeit des wirtschaftspolitischen Handelns wird schnell zum Verhängnis - so erging es Gerhard Schröder schon nach 7 Jahren und auch Helmut Kohl wäre ohne das Sonderereignis Deutsche Einheit schon 1991 möglicherweise nicht mehr wieder gewählt worden. Seine großen außenpolitischen Leistungen werden von seinen ordnungspolitischen Fehlleistungen überschattet", sagte Adenauer. Er sprach die Hoffnung aus, dass Angela Merkel "trotz des Kirchof-Schicksals" den Mut haben werde, "ein mutiger Missionar im Sinne Ludwig Erhards zu sein und die Axt in die Hand zu nehmen".

Tolle Zahlen für die IHK-Mitglieder - ein Vorteil für die Wirtschaftsregion Fulda

"Wir haben das vergangene Jahr gut bewältigt, und wir haben allen Grund, den Beginn des neuen zu feiern. Dazu will auch die Kammer noch etwas beitragen. Die Vollversammlung der IHK hat in Ihrer vergangenen Sitzung eine Senkung des Umlagesatzes von 10% beschlossen. Zur Nachahmung empfohlen", sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda, Helmut Sorg, unter dem Beifall der rund 600 Gäste des IHK-Neujahrsempfanges im Stadtschloss Fulda. Damit konnte Helmut Sorg einmal mehr die herausragende Stellung der IHK Fulda aufzeigen: obwohl eine der kleinsten Kammern in Hessen, liegt diese Wirtschaftsinstitution in zahlreichen Bereich an erster Stelle.

So belegt die IHK Fulda mit einer Ausbildungsquote - dem Verhältnis zwischen Auszubildenden und Beschäftigten - mit 7,1 Prozent hessenweit an der Spitze und übertrifft auch den Bundesschnitt von 5,9 Prozent deutlich. Mit den neuen Ausbildungsberufen, Fachkraft für Verkaufsvorbereitung und Fachkraft für Textil-Reinigung hat die IHK zusammen mit der Agentur für Arbeit und der Firma Grümel zwei deutschlandweit einmalige Ausbildungsberufe für die Problemgruppe der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss kreiert - und für 30 junge Menschen vor Ort eine Berufs- und Lebensperspektive geschaffen.

Doch auch die Unternehmer sind "mit ihrer IHK" zufrieden. Eine regionale Untersuchung durch das Meinungsforschungsinstitut Emnid - zu der bundesweit nur 25 Kammern den Mut aufbrachten - ergab für Fulda in vielen Bereichen überdurchschnittliche Noten und ein "erfreulich höheres Zufriedenheitsniveau" als im Bundesdurchschnitt. "Man hält uns für verlässlich und vertrauenswürdig", sagte Helmut Sorg und dankte in diesem Zusammenhang dem leistungsstarken und motivierten hauptamtlichen Team der IHK. Aber besonderes Lob bekamen auch die inzwischen über 700 ehrenamtliche Helfer, die sich in vielfacher Funktion in ihrer Freizeit für die Belange der Kammer, der Wirtschaft und somit der Region einsetzen. "Allein im Jahr 2005 sind 82 ehrenamtliche Helfer hinzugekommen. Einen besseren Beweis für die Lebendigkeit und die Bedeutung unserer Kammer, als die ehrenamtliche Mitwirkung von so vielen Menschen, kann ich mir nicht vorstellen", würdigte der IHK-Präsident das Engagement der unternehmerischen Kräfte in der Region.

Helmut Sorg: "Keine Furcht vor Globalisierung haben und für Reformen kämpfen"

Im allgemeinwirtschaftspolitischen Teil seiner Ansprache stellte Helmut Sorg vier Punkte heraus: "Mit Optimismus in die Zukunft blicken - gemeinsam für die notwendigen Reformen kämpfen - die Chancen der Globalisierung nutzen - unsere soziale Verantwortung, etwa für Jugendliche mit Qualifizierungsmängeln, wahrnehmen". Sorg ging auf die zunehmend positive Grundstimmung in der Bevölkerung und den Konjunktur-Optmismus der Wirtschaft ein. Auch die Unternehmen der Region teilten diesen Optimismus: In der neusten Konjunkturumfrage im Kammerbezirk Fulda steige der Geschäftsklimaindex von 99,9 Punkten im letzten Quartal auf 112,9 Punkte im Januar diesen Jahres.

Bei allen günstigen Aussichten für dieses Jahr dürfe man sich jedoch auch nichts vormachen: Deutschland stehe an einem Scheideweg: Ein „Weiter so“ mit nur kleinen Korrekturen könne - allein wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der dramatischen Lage der Staatsfinanzen - die notwendige Wende der Wirtschaft nicht bewirken. Sorg appellierte an die Politik, eine durchgreifende Steuerreform mit Senkung der Steuersätze und einer grundlegenden Vereinfachung, Bürokratieabbau und mehr Flexibilität für Unternehmen bei Tarifabschlüssen umzusetzen.

Diffuse Ängste zum Thema "Europa" entstehen auch durch mangelndes Wissen

Das Rahmenthema des deutschen Industrie- und Handelskammertages laute 2006 "Europa". Dieser Begriff werde inzwischen nicht mehr mit Fortschritt oder Vision gleichgesetzt, sondern eher mit Belastung, Bedrohung und Pessimismus. Die Angst vieler Menschen basiert häufig auf einem mangelndem Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge. Bessere Informations- und auch Aufklärungsarbeit seien essentiell wichtig. Auch Wirtschaftsexperten zeigten auf, dass die Erwerbstätigkeit in allen Wirtschaftsnationen - in Schwellenländern sowieso - ständig anwachse und dass unter dem Strich immer mehr anspruchsvolle Jobs neu entstünden als Billiglohnbeschäftigungen abgebaut würden.

Die Verlagerung einfacher Arbeitsprozesse habe auch in Deutschland dazu geführt, dass sich Forschung und industrielle Fertigung weiter entwickelten - vor allem in den Bereichen der Informationstechnologie und vielfältigen anderen Dienstleistungen. "Wer weiß schon, dass Deutschland Weltmarktführer im Bereich der Lichttechnologie mit jetzt schon einer Million Beschäftigten ist, mit weiter stark steigender Tendenz". Der Prozess der Globalisierung könne und dürfe nicht aufgehalten werden, denn er bringe immer mehr Menschen dieser Erde Vorteile. "Wir sollten uns deshalb furchtlos dieser sicherlich herausfordernden Entwicklung stellen und die daraus resultierenden Chancen hinsichtlich Wissen, Wettbewerb und Wohlstand nutzen".

Die Grüße der hessischen Landesregierung überbrachte Hessens Wirtschaftsminister Dr. Alois Rhiel (CDU). An die Adresse der Unternehmer sagte der scheidende Landrat Fritz Kramer, er wünsche ihnen "Kraft zur Zuversicht“, denn die Region Fulda könne in jeder Hinsicht hessenweit als "Vorbild" gelten. Aus der Hand von IHK-Präsident Sorg bekam Kramer dann noch ein Überraschungsgeschenk, das der bekannte Künstler Peter Blum gemalt hatte: ein Porträt Kramers vor dem Hintergrund einer überdimensionalen Karte mit den Umrissen der "Wirtschaftsregion Fulda".

(Interessierte Leser können den Text beider Reden unter dem Punkt IM WORTLAUT in der untenstehenden Extra-Meldung nachlesen). +++





























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