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16.03.05 - Fulda

23 Betriebsräte appellieren an JUMO: Arbeitszeitverlängerung zurücknehmen

Die Betriebsräte von 23 Fuldaer Firmen aus den Industriebereichen Metall, Elektro, Textil und Kunststoff haben heute die Geschäftsleitung der JUMO GmbH & Co. KG zur Rücknahme der geplanten Arbeitszeitverlängerung aufgefordert. In dem gemeinsamen Appell der 23 Betriebsräte wird - in klaren, aber sachlichen Worten - gegen die Geschäftsleitung von JUMO der Vorwurf des "ungesetzlichen Verhaltens" erhoben und begründet.

Danach könne sich - so die Arbeitnehmervertreter unisono - der Unternehmer Juchheim auch durch Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband "ohne Tarifbindung" und durch Firmen-Vereinbarungen nicht über geltendes Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht hinwegsetzen. Änderungen könnten nur für die Zukunft gelten, aber nicht "rückwirkend auf alle Arbeitnehmer angewendet werden", erklärte der Betriebsrat Heribert Werner. Geltende Tarifverträge könnten nur dann unwirksam werden, wenn darin ausdrücklich eine "Öffnungsklausel" drinstehe - und die habe man in Osthessen nicht.

Ende vergangener Woche war bekannt geworden, dass zwischen JUMO-Geschäftsleitung und Betriebsrat eine Vereinbarung getroffen wurde, wonach ab 1. April die Wochenarbeitszeit von 35 auf 38 Stunden ohne Lohnausgleich angehoben wird. Dagegen hatte die IG Metall Hanau / Fulda heftige Kritik geübt und dem Geschäftsführenden Gesellschafter Bernhard Juchheim "Rechtsbruch", die "schamlose Ausnutzung der Arbeitnehmer-Angst um Arbeitsplätze" sowie die mittelfristig greifende Vernichtung von Arbeitsplätzen vorgeworfen. (s. Bericht in "osthessen-news" am 12.03.2005)

Die Praktiker aus den Betrieben befürchten einen Dammbruch bei den tariflichen Arbeitszeiten, sollte "das Beispiel JUMO Schule machen." Schließlich sei der Eigner von JUMO, Bernhard Juchheim "nicht irgendwer", sondern der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Osthessen und Vizepräsident der IHK Fulda. "Welcher Unternehmer sollte sich künftig noch an geltendes Recht und Tarifverträge halten, wenn nicht der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes?" fragten sich die Betriebsräte. In dem Appell sprachen sie auch eine Mahnung aus: Wer die Angst seiner Mitarbeiter ausnutze, eines kurzfristigen Profits wegen, gefährde den sozialen Frieden.

Es sei ohne Beispiel, wie sich die Geschäftsleitung der JUMO einfach über geltendes Recht hinwegsetze und ihren Mitarbeiter/innen einfach eine längere Arbeitszeit von 3 Stunden die Woche ohne Lohnausgleich verordnet habe. Die Vereinbarung mit dem Betriebsrat verstoße klar gegen § 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz und auch gegen das Tarifvertragsgesetz. Die Betriebsräte kritisierten aber auch ihre Kollegen bei JUMO. Der Betriebsrat dort hätte wissen müssen, dass er die Betriebsvereinbarung zur Verlängerung der Arbeitszeit und zur - dadurch faktisch eintretenden - Absenkung des Lohnes und der Gehälter nicht hätte unterschreiben dürfen.

Seit Monaten, so die Vertreter der Beschäftigten weiter, erlebe man im Land einen gesellschaftlichen Konflikt um die Arbeitszeit, der sich immer weiter zuspitze. Arbeitgeber und Vertreter aus Politik und Medien wollten "das Rad der Geschichte zurückdrehen": 40, 42, ja 50 Stunden solle die wöchentliche Arbeitszeit in Zukunft betragen. Als Begründung müssten, so auch bei JUMO, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung herhalten. Ständig werde der Eindruck erweckt, es arbeiteten schon alle 40 Stunden die Woche und länger. Dies sei falsch. Von den tarifgebundenen Betrieben in Fulda und Umgebung arbeiteten alle nach wie vor nach den tariflichen Arbeitszeiten.

Die These „Längere Arbeitszeiten förderten die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung“ sei bloße Ideologie, so die Betriebsräte. Das Gegenteil sei der Fall: Generelle Arbeitszeitverlängerung vernichte Arbeitsplätze und hemme die Produktivitätsentwicklung. Außerdem sei sie mit massiven Lohn- und Gehaltseinbußen verbunden. Angesichts einer registrierten Massenarbeitslosigkeit von 5,2 Millionen sei es "geradezu absurd", die Arbeitszeit zu verlängern.

Vor diesem Hintergrund forderten heute die Betriebsräte die Geschäftsleitung der JUMO und Bernhard Juchheim auf, die geplante Arbeitszeitverlängerung zurückzunehmen und sich wieder an die Gesetze wie auch die Tarifverträge zu halten. "Eine Gesellschaft braucht Regeln. Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge müssen eingehalten werden. Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft und brauchen den Flächentarifvertrag", heißt es abschließend in dem Appell.

Zu den Unterzeichnern gehören die Betriebsräte der Firmen EDAG, Boart Longyear, Wagner, Reform, KGM Kugelfabrik, Hubtex, Werner Schmid, John Crane, Weisensee, Möller Medical, VW Zentrum, Langheinrich, DME Normalien, Guldner, IT-Novum, Leonard Döll sowie insgesamt sechs eigenständige GmbH's der Holding "rund um" Mehler, Dura und Wirth.

Die Betriebsräte kündigten an, das Verhalten des Unternehmens nicht so einfach hinnehmen zu wollen. Möglicherweise werde es - wie auch die IG Metall ankündigte - weitere Aktionen geben. Und wie geht es weiter, wenn die Vereinbarung von JUMO nicht zurückgenommen wird ? Eine Klage gegen den Verstoß gegen Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz können die Gewerkschaften nicht anstrengen - dieses "Individualrecht" müssten schon die Betroffenen selbst in Anspruch nehmen: also Arbeitnehmer von JUMO. Falls der Firmen-Betriebsrat von der Vereinbarung abrücken würde, müsste wiederum die Geschäftsleitung jedem einzelnen Arbeitnehmer eine Änderungskündigung mit den neuen Arbeitszeiten schicken und neue Verträge abschließen. Bei 1.099 Beschäftigten wäre das eine "ziemliche Aktion", wie ein Gewerkschafter hinter vorgehaltener Hand sagte, "deshalb machen die Chefs sowas eben über den Druck mit Arbeitsplätzen und Vereinbarungen für alle, das ist bequemer". +++

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